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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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vor seinen Gläubigern in die ostdeutsche Provinz getrieben hatte, an den Rand eines gigantischen Tagebaues der Lausitzer Braunkohle  AG , kurz  LAUBAG  genannt. Kaemper lag in einem verschlissenen Liegestuhl, er hatte einen Zigarillo im Mund und ein halb volles Whiskyglas in der Hand. Über dem etwas zu bunten Hawaiihemd trug er ein samtrotes Dinnerjackett, seine weißlichen Beine steckten in Boxershorts. Vor ihm kniete ein Mädchen, Swetlana, das ihm die Zehennägel pedikürte, während er durch seine verspiegelte Sonnenbrille die übrigen Huren beobachtete, die sich lachend und schnatternd an einer Waschrinne für die Tagebaukumpel zurechtmachten. Sie waren unterschiedlicher Nationalität und bedienten sich eines skurrilen Gemisches verschiedener slawischer Sprachen. Kaemper jedenfalls verstand kein Wort, und es war ihm auch egal. Weiber quatschten sowieso den ganzen Tag. Plapper, plapper, plapper – das war das Grundgeräusch seines Arbeitsalltags, wenn es nicht von den Sirenen der Schichtwechsel und dem Gedröhne der Abraummaschinen übertönt wurde. Heute stand der Wind günstig, die Bagger waren nur als fernes mahlendes Gewummer hörbar. An das Vibrieren des Bodens hatte er sich längst gewöhnt und auch an den Staub, der wie ein steter Schleier über dem verlassenen Dorf hing. Es gab angenehmere Orte auf der Welt, sicher, aber Stefan Kaemper verdiente gut mit seinen Mädels an den  LAUBAG -Arbeitern. Warum also sollte er sich beklagen?
    Wohlwollend betrachtete er die Huren. Da war Marina, eine üppige, kaum volljährige Tschechin, die sich mit einer weißen Creme die Beine einrieb, und Katya, ein rassiges Zigeunermädchen aus Rumänien, das Stunden damit verbringen konnte, sich zu schminken. Annika und Julika, die wasserstoffblonden feurigen Zwillinge aus Ungarn, halfen Szusa, einer umsatzstarken, polnischen Lederdomina, ins krachenge Bustier. Mit ihren knapp fünfundzwanzig Jahren war Szusa die Älteste und Erfahrenste hier und so was wie die Mutter der anderen Mädchen. Eine wertvolle Hilfe. Sie führte die Neulinge behutsam ins Geschäft ein, tröstete, wenn es mal Tränen gab, hatte immer genug Wodka und ein offenes Ohr für Probleme und Sorgen. Außerdem konnte sie kochen. Selbst auf den armseligsten Feuerstellen konnte Szusa die schönsten Gerichte zubereiten.
    Gutes Essen ist wichtig. Wer gut arbeitete, sollte auch gut essen. Das hob die Stimmung. Und gute Laune den Umsatz.
    Nein, es gab keinen Grund zur Klage. Zwar musste er seinen Gewinn mit Roland Paich teilen, einem jungen Zittauer Spediteur, der für den Bus, die Verpflegung und einen steten Nachschub an Mädchen sorgte, aber es hätte Stefan Kaemper wesentlich schlechter treffen können. Zudem war sein Verhältnis zu dem Kompagnon fast das eines zwischen Vater und Sohn. Der Spediteur war gerade einundzwanzig Jahre jung und, was das Geschäft anging, entsprechend unerfahren.
    Einzig diese üblen Russen machten Kaemper zunehmend Sorge. Sie trieben sich immer öfter in der Gegend herum und stellten seltsame Fragen. Auch heute waren sie da, warteten schon seit Stunden in ihrem silbergrauen Mercedes am Rande der Abraumgrube und rauchten stumm eine Marlboro nach der anderen. Was die Kerle genau wollten, war Kaemper nicht klar. Sie wollten mit Roland Paich sprechen. Nur mit ihm.
    Kaemper schloss die Augen und lehnte sich in seinem Liegestuhl zurück. Diese Typen würden Ärger machen, das sagte ihm schon sein Instinkt. Russen machten immer Ärger. Die waren fast so schlimm wie die Albaner in Hamburg.
    Ein sonores, kraftvolles Motorengeräusch holte ihn aus seinen Gedanken. – Der Junior, na endlich!
    »Kommt, kommt, ihr süßen Gänschen!« Stefan Kaemper erhob sich zügig und klatschte auffordernd in die Hände. »Begrüßt euren Chef!«
    »Lass mal«, knurrte Roland, »du bist hier der Chef, das reicht.« Er sah sich prüfend um. »Alles in Ordnung?«
    Kaemper nickte und holte ein Kuvert aus der Innentasche seines Dinnerjacketts. Die Hälfte der Einnahmen von letzter Nacht. Zweitausendachthundert Mark. »Der Champagner geht zur Neige und der Wodka auch.«
    »Ich kümmere mich drum.« Roland steckte das Geld ohne nachzuzählen ein. »Hat jemand nach mir gefragt?«
    »Deine neuen Freunde!« Kaemper machte eine Bewegung mit dem Kopf in Richtung Tagebau. »Die warten schon den ganzen Tag auf dich.«
    »Und? Haben sie irgendwas gesagt?«
    »Nein.« Stefan Kaemper zog unbewegt an seinem Zigarillo. »Die reden nicht mit mir. Für die bin ich nur dein

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