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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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war einfach nicht zum Zuge gekommen.
    Das, so hatte er gehofft, würde sich jetzt ändern. Ein nettes Liebesnest in der Innenstadt, dachte er, im frisch renovierten »Johannishof«, wäre genau das Richtige. Und dann Auftritt im Porsche und perfektem Outfit, mit Blumen und allem Drum und Dran – vermutlich wäre das auch alles ganz prima gelaufen, wenn Kudella mit seiner Unfähigkeit, sich einfach wie ein normaler Mensch zu benehmen, nicht jede Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hätte. Der Hund brauchte Pflege, und Frauchen hatte sich sofort gekümmert. Roland dagegen war der Böse, weil er den Wauwau so vernachlässigt hatte – ehrlich, verstehe einer die Weiber!
    Und jetzt durfte er ein Jahr lang den Zahlhansl spielen für ein Zimmer, das er nicht wie geplant nutzen konnte, und musste sich ausgerechnet um einen Deal kümmern, der, hätte Kudella nicht idiotisch Ballermann an der Grenze gespielt, längst über die Bühne gegangen wäre.
    Tja. Rolands Hände zitterten ein wenig, als er sich eine Zigarette ansteckte. Unruhig sah er hinaus in den Regen. Eine Harley-Davidson stoppte mit ihrem charakteristischen Motorblubbern vor der Einfahrt. Ein Mann in schwarzer Lederkombi stieg ab: Tom! Na endlich.
    Mit Mitte dreißig war er etwa fünfzehn Jahre älter als Roland und ein ganz anderer Frauentyp. Mehr »Born to be wild«, ein cooler Abenteurer, der irgendwie an eine Mischung aus Harrison Ford und dem jungen Clint Eastwood erinnerte. Jetzt stand er in Rolands Büro, mit strubbeligen blonden Haaren, den Motorradhelm in der linken, eine Sporttasche in der rechten Hand.
    »Die Russen machen Druck?«
    »Ja.« Roland wandte sich vom Fenster ab. »Die setzen uns knallhart die Pistole auf die Brust. Wir müssen liefern. Irgendwie. Und zwar sofort.«
    »Was heißt sofort?« Tom setzte sich und öffnete den Reißverschluss seiner Kombi. »Die wissen doch, dass ein ›Sofort‹ unmöglich ist.«
    Roland nickte. »Und das ist für sie eine prima Gelegenheit, uns aus dem Geschäft zu drängen.«
    »Nein«, sagte Tom grimmig, »nicht mit uns.«
    »Wir haben keine Wahl, Tom.« Roland drückte fahrig seine Zigarette aus. »Wir müssen die Mädels über die Neiße holen. Besser heute als morgen. Egal wie.«
    »Geht aber nicht.« Tom deutete hinaus. »Die Schlepper weigern sich. Der Regen.«
    »Der Regen?« Roland verstand nicht.
    »Ja, die Wasserstände der Neiße steigen an«, erklärte Tom, »weil’s nicht nur hier, sondern auch im Gebirge regnet. Seit zwei Tagen schon. Inzwischen ist die Strömung zu stark. Sagen zumindest die Erfahreneren unter den Schleppern.«
    »Bist du sicher? Vielleicht wollen die nur mit ihren Preisen rauf.«
    »Glaube ich nicht. Bei Drausendorf sollen gestern Nacht ein paar Libanesen ersoffen sein. Am Freitag kam man da noch mit hochgekrempelten Hosen durch.«
    »Und wie lange soll das dauern?«
    Tom hob die Schultern. »Frag doch mal den Wetterfrosch.«
    Roland sank ratlos hinter seinen Schreibtisch. »Was ist mit Tschechien?«, erkundigte er sich schließlich.
    »Durchs Gebirge?« Tom winkte ab. »Nein, ich hab eine andere Idee.« Er griff in seine Reisetasche und holte eine nagelneue grüne Adidasjacke heraus. »Deshalb bin ich hier.« Er legte die Jacke auf Rolands Schreibtisch und breitete sie aus. Auf ihre Rückseite war ein weißer Schriftzug gedruckt: » KSK JELENIA GÓRA«.  »Na, was sagst du dazu?«
    »Mhm«, machte Roland verständnislos, »was hast du damit vor?«
    »Der  KSK  ist ein Volleyballclub«, grinste Tom. »Klingelt’s?«
    »Nee. Gar nicht.«
    »Mann, wir tarnen die Mädchen einfach als Volleyballmannschaft«, Tom strahlte, »und bringen sie ganz offiziell im Teambus nach Deutschland. Klingt das gut?«
    »Das klingt vor allem nach einer deiner völlig verrückten Ideen.« Roland lächelte. Verrückt, aber nicht schlecht.
    Und sehr typisch für Tom. Er war noch von Rolands Vater eingestellt worden. Tom sollte in der Spedition eine Lehre als Automechaniker machen, hatte aber damals schon, wie es Vater ausdrückte, »vor allem Kirschen im Kopp«. Seine Lehre schaffte er nur mit Ach und Krach, doch er wurde ein guter Trucker. Bis zur Wiedervereinigung machte er Touren bis weit nach Russland hinein. Erst durch die Einführung der Westmark verlor man Marktanteile. Polnische und tschechische Spediteure fuhren die gleiche Fracht zum halben Preis. Ausgerechnet die Grenznähe des Unternehmens, früher ein enormer Wettbewerbsvorteil, wurde jetzt zum Problem. Hinzu kam, dass der Fuhrpark an

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