Grenzwärts
Haus«, sagte er, als sie durch den Garten zurückliefen. »War sicher teuer.«
»Oh ja«, nickte sie, nicht ohne Stolz. »Das war es.«
»Da hat Ihr Mann wohl jeden verdienten Pfennig reingesteckt, nicht?«
»Jochen hat immer sehr darauf geachtet, dass es mir gut geht.«
»Sie vermissen ihn sicher sehr.«
Sie hatten die Haustür erreicht, und Frau Kuhnt entledigte sich ihrer giftgrünen Plastikpantoffeln.
»Warum fragen Sie nicht geradeheraus? Sie wollen doch wissen, womit er sein Geld und das hier …«, sie deutete aufs Haus, »… verdient hat! Und wie alle anderen glauben Sie, dass es mit kriminellen Geschäften zu tun hat.«
»Vielleicht«, lächelte Schwartz, »hatte er auch nur einen besonders lukrativen Zweitjob?«
»Ein Gewerbe.« Sie zeigte ihm zwei bunte Bienenwagen unterhalb des Hauses am Hang. »Er war Imker.«
»Imker!« Schwartz war einigermaßen baff. »Hat er das Gewerbe angemeldet?
»Aber natürlich«. Jetzt lächelte sie. »Unser Honig hat sich prächtig verkauft. Wollen Sie ein Glas?«
»Nein, danke, ich …« Er lief zügig zu seinem Wagen zurück. »Selbst wenn ich wollte, ich dürfte das nicht, verstehen Sie?«
»Korruption«, nickte sie bitter. »Immer wieder die Korruption.«
»Wiedersehen«, rief er, klappte den Schirm zusammen und stieg in seinen Wagen.
Dann fuhr er, etwas zu viel Gas gebend, davon.
11
ROLAND STAND AM FENSTER seines Büros und starrte auf den Hof. Dicht an dicht standen da die Laster mit vom Regen feuchten Planen, dunkelblau mit weißem Schriftzug: » PAICH – TRANSPORTLOGISTIK « – der Name der Familie sollte so in die Lande getragen werden, auf Fernstraßen und Autobahnen durch ganz Europa. Werben für eine kleine Zittauer Firma, die es seit fast achtzig Jahren gab. Die zwei Weltkriege überstanden hatte, russische Besatzung, das kommunistische Joch. Und ausgerechnet in der Marktwirtschaft, in der Freiheit bundesdeutschen Seins, hielt Roland, dem das Unternehmen vor einem Jahr feierlich von seinem Vater übergeben worden war, die ganze Chose nur noch mit einem Trick über Wasser. Ein einziger Bus sorgte für Gewinn, nicht die nagelneuen Lastzüge, nein, nur ein einziger alter Bus mit einer Ladung, die jede andere Fracht in den Schatten stellte: Mädchen, jung, schön und käuflich. Damit hatte er die Firma vor dem Konkurs gerettet, damit ließ sich richtig Geld verdienen. Mädels aus dem Osten.
Julia würde das nie verstehen. Dass es hier um ein Erbe ging, um das Lebenswerk mehrerer Generationen – nie würde das in ihren Kopf gehen, sie stammte ja aus einer Künstlerfamilie! Idealistisch bis zum Abwinken, naiv, ohne Bezug zur harten, manchmal grausamen Realität.
Früher hatte ihn das fasziniert. Julia war anders als die anderen Mädchen, die sich entweder für Klamotten, Schmuck und Musik interessierten oder mit fast religiöser Inbrunst an die Formbarkeit des Menschen durch den Kommunismus glaubten. Roland hatte sie alle gehabt. Ob Schickimickitussi oder FDJ -Bluse – er bekam sie ins Bett, selbst Margots Frisurendouble hatte er schon flachgelegt.
Julia dagegen hatte er nie richtig zu knacken vermocht. Die diskutierte lieber stundenlang dialektisch über Gott und Teufel und schwärmte von der Melancholie der Einsamkeit. Ein bisschen Schmusen und Knutschen im Kino oder beim Tanzen, das war’s. Sobald es ernster wurde, entzog sie sich ihm und versteckte sich rasch hinter Kudellas breiter Schulter.
Die seltsame Beziehung zwischen den beiden hatte er ohnehin nie verstanden. Völlig asexuell, ein Paar wie Tarzan und Jane, wie King Kong und die weiße Frau. Julia hing an Kudella wie an einem Haustier; ein großer, kräftiger Hund, den man knuddeln kann und der stark genug ist, das zarte Frauchen vor bösen Jungs und anderen Widrigkeiten des Lebens zu beschützen.
Als vor ein paar Tagen die Postkarte kam, mit der sie ihren Besuch in Zittau ankündigte, hatte sich Roland sehr gefreut. Er war total gespannt, was aus ihr geworden war. Denn schon mit fünfzehn war Julia das, was man einen ziemlich steilen Feger nannte, total sexy, ohne dass sie sich ihrer Wirkung auf Männer bewusst war. Ein scheues, sommersprossiges Mädchen mit herrlich langen Haaren und voller Anmut. Gerade ihre Unsicherheit, ihr etwas wackeliger Gang und ihr schüchternes Lächeln hatten eine ungeheure Anziehungskraft auf ihn ausgeübt. Und ja, natürlich wollte er mit ihr ins Bett, nichts sehnlicher als das, er wollte diesen Rohdiamanten schleifen und polieren – aber er
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