Grenzwärts
ihrem missglückten Selbstmordversuch nur mit fremder Hilfe verlassen konnte.
Eine kleine, verlorene Frau im Rollstuhl von etwa vierundzwanzig Jahren. Sie trug Trauer und musste einmal sehr hübsch gewesen sein. Man sah es an ihrem Gesicht. Feine Züge voller Anmut, fast klassisch. Und sie hatte große, traurige Augen.
»Warum hätte ich ihn ermorden sollen?«, fragte sie in einwandfreiem Deutsch. »Ich habe Jochen geliebt.«
»Vielleicht, weil er Sie verletzt hat? Weil er sich nicht von seiner Frau trennen wollte?«
»Dann hätte ich seine Frau ermorden müssen.« Laila Krajewska lächelte schmerzlich. »Könnten Sie jemanden umbringen, den Sie lieben? Ist es nicht eher so, dass man, wenn man liebt, sich jede Verletzung gefallen lässt?«
»Und was ist«, fragte Schwartz, »wenn der Schmerz so groß wird, dass die Liebe in Hass umkippt?«
»Vorher wollte ich sterben.« Laila sah bitter auf ihren zerschmetterten, vom Hals ab gelähmten Körper. »Sie sehen ja.«
»Wann ist das passiert?«
»Eine Woche vor seinem Tod.« Sie sah ihn herausfordernd an. »Ich lag noch im Koma, als er getötet wurde. Ich kann es also nicht gewesen sein.«
Ja, ganz sicher nicht. Ob sie inzwischen den Selbstmordversuch bereute? Sie war noch so jung. Hatte das ganze Leben vor sich. Ein Leben im Rollstuhl. Sie tat ihm leid.
»Haben Sie jemanden, der Ihnen hilft?«
»Ja.« Laila Krajewska nickte. »Ein Freund.«
Ein Freund. Sicher. Natürlich hatte ein hübsches Mädchen wie diese Laila Freunde. Vor allem, als sie noch gesund war. Da müssen sich die Jungs doch um sie gerissen haben. Da gab es sicher den einen oder anderen, der unsterblich in sie verliebt war. Und dann versucht sie, sich umzubringen. Wegen einem anderen Mann.
Schwartz massierte sich nachdenklich den Nacken.
War Laila der Grund für einen Mord?
Gab es einen unglücklichen Liebhaber, der nicht mit ansehen konnte, was mit seiner Angebeteten geschah – und sich dafür bitter an Jochen Kuhnt rächte?
»Sie müssen Jochens Mörder in Deutschland suchen«, sagte Laila leise. »Sie haben keine andere Alternative.«
»Hab ich die nicht?«
»Nein.« Laila Krajewska zeigte ihm die Tür. »Als deutscher Beamter dürfen Sie hier nicht ermitteln, also gehen Sie! Finden Sie Jochens Mörder in Deutschland!«
Klare Worte, dachte Schwartz. Und sie hat recht. Er bedankte sich, wünschte gute Besserung und ging.
14
DAS POLIZEIREVIER ZITTAU befindet sich am Haberkornplatz, nur wenige Gehminuten vom Töpferberg entfernt, in einem wuchtigen Ziegelbau der Jahrhundertwende. Das Amtsgericht ist gleich nebenan.
Seit drei Stunden hocke ich in einer Zelle zum Hof hinaus und warte. Kojak nach einer Actionszene. Brünings Meisterstück ist hin, das Hemd zerrissen, der Hut fehlt.
Irgendwann wird die Zellentür entriegelt, und Thomas Leutner kommt herein, mein schlaksiger Bewährungshelfer. Er hat die langen, früh ergrauten Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und trägt seinen üblichen Wollpullover unter der Jeansjacke. Mit traurigen wasserblauen Augen sieht er mich an.
»Was sollte das, Andreas?«
»Ich hab’s den Bullen schon gesagt«, erkläre ich, »ich wollte nur jemanden besuchen.«
»Du hast gegen deine Bewährungsauflagen verstoßen.«
»Ich wollte nur jemanden besuchen«, wiederhole ich genervt, »geht das in dein Hirn?«
»Stell dich nicht dümmer, als du bist«, sagt Leutner, »du weißt, was ich meine.«
Ja, ja! Ich darf mich dem Podtsch e.V. bis auf fünfzig Meter nicht nähern. Alles klar.
»Aber ich wollte doch wirklich nur jemanden besuchen. Und ich war allein«, versuche ich es noch mal. »Mann, sieh mich doch mal an! Sieht so einer aus, der Zecken klatschen will?«
»Ich weiß nicht, wie so jemand aussieht«, erwidert Thomas Leutner, »und es interessiert mich auch nicht.«
»Ich hatte Blumen dabei«, rege ich mich auf. »Ich bin da ganz freundlich reinspaziert, und die drehen voll durch!«
»Weil du da eben nicht reinspazieren darfst.« Leutner seufzt. »Versuch doch mal, dich in die Leute dort hineinzuversetzen. Es ist gerade mal ein Jahr her, da seid ihr dort mit Baseballschlägern aufgetaucht und habt den Laden kurz und klein gehauen. Vier Verletzte, einer davon schwer.«
»Die hatten uns provoziert.«
»Und jetzt hast du sie provoziert.« Er greift in seine Jeansjacke und bietet mir ein Päckchen Zigaretten an. Guter Mann, raucht auch Karo.
»Und jetzt?«, frage ich, nachdem ich mir eine Zigarette gezogen habe. »Gehe ich jetzt in den Knast,
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