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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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Schwartz. Meinte er, dass Jochen Kuhnt hochnäsig geworden war? Arrogant? Überheblich?
    »Was für eine Fortbildung war das denn?«, erkundigte er sich.
    »Also ich kannte den Jochen«, sagte der  BGS -Mann gedehnt, »seitdem er hier angefangen hat. Anfang der Achtziger muss das gewesen sein …« Er überlegte: »Als wir hier dichtgemacht hatten wegen der Solidarnosc drüben.«
    »Einundachtzig«, nickte Schwartz und sah über die Grenze. Schön, dass sie wieder offen war.
    »Wir haben so manchen Dienst gemeinsam geschoben, der Jochen und ich.« Der Grenzschützer lächelte in sich hinein. »Wir haben so manches erlebt. Obwohl wir hier ja eine recht ruhige Kugel geschoben haben. Viel los war nie.«
    Widersprüchlicher ging’s nimmer. Schwartz entschied sich, nicht genauer nachzufragen. »Kuhnts Fortbildung in Wiesbaden«, erinnerte er den  BGS -Mann, »worum ging’s da?«
    »Das hat er nicht erzählt. Aber plötzlich ist er ehrgeizig geworden. Wollte hoch hinaus. Und dann tat er so geheimnisvoll. Fand ich schon eigenartig. Der hat die Nase sehr hoch getragen, zum Schluss, der Jochen. Sehr hoch.«
    »Aber es wurde doch gegen ihn ermittelt«, wandte Schwartz ein, »wegen Korruption?«
    »Ja.« Der Grenzschützer kickte ein Steinchen mit dem Fuß weg. Es sprang über die Fahrbahn und wurde von einem Lastzug überrollt. »Aber er hat’s nicht so ernst genommen.«
    »Nicht?« Das wunderte Schwartz. »Immerhin hat er sich das Leben genommen.«
    »Deswegen?« Der  BGS -Mann schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht.«
    »Was glauben Sie?«
    »Nichts. Manche trifft’s früher, andere später. Irgendwann sind wir alle dran.«
    Aber wir bringen uns nicht alle um, überlegte Schwartz, oder werden erschossen.
    »Na ja, ich muss jetzt.« Der  BGS -Mann gab ihm die Hand und verabschiedete sich. »Hoffe, geholfen zu haben.«
    »Geht so«, antwortete Schwartz und spürte, als ihn der Grenzschützer wieder losgelassen hatte, eine schmale Visitenkarte in seiner Hand.
    Sieh einer an, dachte Schwartz und steckte sie sich unauffällig in die Tasche. Dann lief er geduckt durch Regen und Wind zu seiner neben der Baracke am Neißeufer geparkten Déesse zurück und setzte sich rasch hinein.
    Puh, was für ‘n Wetter! Gut, dass er den Balken gestern noch gestrichen hatte, als es schön und sonnig war. Man sollte halt immer seinem Bauchgefühl vertrauen. Uralten archaischen Instinkten. Früher, als der Mensch sich noch gegen die Wildnis behaupten musste, waren sie überlebenswichtig. Warum also sollten sie uns heute nicht auch weiterhelfen?
    Schwartz öffnete seine Hand und besah sich verstohlen die Visitenkarte. Sie gehörte einem Caesar Goldenbaum vom Bundesgrenzschutzamt in Pirna. Interessant. Es war eine Telefonnummer vermerkt, doch sicher besser, nicht gleich von hier aus anzurufen.
    Außerdem wollte er zunächst auf die polnische Seite von Görlitz, nach Zgorzelec, schauen, ob er etwas über diese selbstmörderische Liebschaft von Jochen Kuhnt herausbekommen konnte, wie hieß sie noch? Schwartz sah in seinem edlen Notizblock nach. Richtig, Laila Krajewska. Die hatte wenigstens ein Motiv: enttäuschte Liebe. Großartig!
    Schwartz startete den Motor, wartete, bis die Hydropneumatik den Wagen aufs Betriebsniveau gehoben hatte, und fuhr dann hupend an den sich stauenden Lastzügen vorbei über die Brücke hinüber nach Polen.
    Man sah Zgorzelec nicht unbedingt an, dass es einst zu Görlitz gehörte. Überhaupt kam sich Schwartz plötzlich vor, als habe er nicht nur das Land, sondern gleich einen ganzen Kontinent gewechselt. Überall Straßennamen in einer unaussprechlichen Sprache, die er nicht verstand:  ulica Marszalka Pielsudskiego  etwa, oder  ulica Tadeusza Kosciuszki . Überall warnten Schilder  » Uwaga! «,  warben für eine  » msza «  mit dem  » papiez «  und  » bielizna «  von Calvin Klein.
    Aufregend war das für Schwartz, sehr aufregend, denn er war noch nie in Polen gewesen, obwohl er in unmittelbarer Grenznähe aufgewachsen war. Aber die Polen, hieß es immer, seien Diebe und faul obendrein. Wenn du einen Polen arbeiten lässt, musst du dich danebenstellen, pflegte Oma zu sagen, sonst legt er sich schlafen. Zudem seien sie allesamt katholische Rassisten. Nein, Junge, lass mal, da drüben gibt es nichts für dich.
    Schwartz hatte keine Ahnung, ob und inwiefern Oma schlechte Erfahrungen mit Polen gemacht hatte oder ob sie einfach nur nachplapperte, was gängige Meinung war. Die Polen waren eben nicht

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