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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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mit den Armen vor der Nase rum, »keine Gewalt«, und quatscht ununterbrochen auf mich ein: »Alles ist gut, keine Gewalt, alles ist gut, okay? Wir reden, ja? Alles okay! Wir werden einfach reden. Man kann auch reden. Gewalt regelt nichts, wir müssen reden, okay?«
    Ich würde ja reden, du Null, wenn du mich mal zu Wort kommen lassen würdest. Aber die Psychotante labert und labert.
    »Alles ist gut, nicht wahr? Unser Haus steht grundsätzlich allen offen, die Probleme haben. Bist du allein? Oder sind draußen noch Freunde von dir, die auch reden wollen? Unser Ausstiegsprogramm steht allen offen. Raus aus der Szene, rein ins Leben. Wir können alles friedlich miteinander regeln.«
    Mann, ich bin friedlich. Und wenn du endlich mal die Klappe hältst, bleib ich es auch.
    »Wichtig ist, dass wir uns ernst nehmen und respektieren. Ich nehme dich ernst, verstehst du? Ich nehme dich und deine Freunde ernst. Ich nehme deine Probleme ernst. Vielleicht brauchst du ja Hilfe oder psychologische Betreuung …«
    Gott, die Tussi ist ja völlig drüber. Es hilft nichts, ich muss diese Quatschtante stoppen, und deshalb schnappe ich sie mir, und ziehe sie dicht zu mir heran.
    »Okay, Schnatterinchen, aufgemerkt! Ich will zu Julia Latte!«
    »Keine Gewalt«, sie flackert hektisch mit den Augen, »bitte, keine Gewalt! Gewalt führt nie zum Ziel …«
    »Herrgott!« Ich schüttele das Weib. »Würdest du mir einfach mal zuhören? Also: Julia Latte – wo ist sie?«
    »Julia Latte?«, wiederholt die Frau in meinen Händen und schlottert wie ein halb toter Fisch.
    »Die neue Praktikantin«, werde ich deutlicher und stelle die Tussi wieder auf ihre Füße. »Ich bin ein Freund.«
    »Freund«, legt die Quasselstrippe wieder los. »Freund ist gut. Der richtige Weg. Ich bin auch deine Freundin, verstehst du, lass mich deine Freundin sein!«
    Was soll das denn, denke ich verwirrt. Die ist irre, macht die mich jetzt an, oder was?
    »Wir alle hier sind Freunde«, strahlt sie wie Oda-Gebbine Holze-Stäblein beim Wort zum Sonntag, »wir verstehen und respektieren einander. Und weil wir das tun, leben wir miteinander ganz ohne Hass und Gewalt!«
    Von wegen! Plötzlich werde ich gepackt und zu Boden gerissen. Überall sind Bullen. Sie reißen mir den Blumenstrauß aus der Hand und zerfleddern ihn, als hätte ich darin eine Granate versteckt. Ich versuche mich zu wehren, aber es sind einfach zu viele. Mindestens fünf Mann zerren an mir herum. Ich spüre, wie mein neuer Anzug an den Ärmeln reißt, und ich verliere den Hut.
    Wenig später sitze ich in einem Polizeiwagen. Blaulichter flackern, der Fahrer gibt Gas. Das Letzte, was ich sehe, ist Jule. Aufgelöst und mit wehenden Haaren kommt sie aus dem Gebäude des Podtsch e.V. gerannt, wird aber von zwei Zecken festgehalten. Mit Tränen in den Augen starrt sie mir nach.

13
    SCHWARTZ KAM SICH VOR  wie früher. Er stand unter im Wind knatternden Fahnen. Damals wurden noch Hymnen dazu gespielt, und Chöre sangen Loblieder auf den Arbeiter- und Bauernstaat. Na ja, nicht immer. Nur wenn etwas Besonderes war, 7. Oktober zum Beispiel, oder wenn sich hochrangige Parteikader angesagt hatten.
    Heute war weder ein Feiertag, noch erwartete man den Besuch irgendwelcher Politiker, und die  DDR  gab’s auch nicht mehr. Nur die Fahnen knatterten noch. Drei Stück. Eine rot-weiße, eine schwarz-rot-goldene und eine blaue mit zwölf goldenen Sternen, denn immerhin befand sich Schwartz nicht nur am Grenzübergang zu Polen, hier endete auch die Europäische Union.
    Er stand neben dem diensthabenden Leiter der Grenzkontrollstelle Görlitz-Stadtbrücke/Zgorzelec unter einem Wellblechvordach, auf das der Regen prasselte. Es gehörte zur Grenzbaracke direkt neben dem Übergang. Autos hupten, Lastzüge stauten sich kilometerweit stadteinwärts, hektische Zöllner rannten herum. Mit dick gepackten Taschen und Einkaufstüten passierten Fußgänger unter feuchten Schirmen und Radfahrer in Plastikponchos die Brücke über die Neiße.
    »Der Jochen, der gehörte ja eigentlich nicht mehr so richtig zu uns«, sagte der Bundesgrenzschützer und schob seine Mütze etwas nach hinten, »der war ja was Besseres inzwischen.«
    Schwartz überlegte, ob Hohn oder Neid in den Worten mitschwang. Oder war es einfach eine nüchterne Feststellung?
    »Inwiefern?«, fragte er.
    »Wiesbaden. Da hat er eine Fortbildung gemacht.« Der Bundesgrenzschützer winkte ab. »Danach musste man ihn siezen.«
    Der Mann spricht in Rätseln, dachte

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