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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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»Wieso was?«
    »Wieso bist du so voller Hass?« Sie sieht mich an, prüfend und fürsorglich wie eine Krankenschwester den Patienten. »Was haben sie dir getan?«
    »Wer?«
    »Ja, eben«, nickt Jule traurig, »es gibt keinen Grund.«
    Ich bin ratlos. Was will sie von mir hören? Vermutlich haben ihr die Zecken erzählt, was vor einem Jahr passiert ist. Haben hysterisch rumgeflennt, was für ein Böser ich bin, weil sie Jule ja irgendwie erklären mussten, warum sie die Bullen gerufen haben. Dabei habe ich mich längst entschuldigt. Vor Gericht, laut und deutlich, damit es alle hören konnten. Und es war ernst gemeint. Durchaus. Ich lass die Zecken in Ruhe, und sie lassen mich in Ruhe. Friedliche Koexistenz. Das war der Pakt. Ich habe dreihundert Arbeitsstunden Kies geschippt bei der Renaturierung alter Tagebaugruben, und der Erlös dafür ging an den Podtsch e.V., damit sie sich irgendwelche antifaschistischen Faxgeräte kaufen konnten, Che-Guevara-Poster oder politisch korrekten Kaffee für ihre endlosen Diskussionsrunden. Egal. Ich habe Buße getan, wie ein Katholik. Es gab also keinen Grund, in Panik zu verfallen. Zumal ich mich ja wirklich fein gemacht hatte und einen Riesenblumenstrauß vor mir hergetragen hab.
    »Kannst du dich noch an den alten Katenbach erinnern?«, frage ich Jule nach einer Weile.
    »Unseren Schwimmlehrer?«
    »Genau«, nicke ich, »das beschissene Arschloch, wie ich ihn nenne. Macht jetzt groß einen auf Politik. Deutsche Volksunion und so.«
    »Nazis«, entfährt es Jule erschrocken.
    »Ach«, winke ich ab, »denen geht’s nur darum, irgendwie einen Fuß in die Politik zu bekommen und Diäten abzugreifen.«
    »Mit nationalistisch-rassistischen Parolen.« Jule rümpft angewidert die Nase. »Ausgerechnet Katenbach: War der nicht Reservist bei der  NVA ?«
    »Das waren doch fast alle. Jedenfalls kam er zu uns«, erzähle ich weiter, »machte einen auf scheißfreundlich und wollte uns werben. Für seine  DVU -Truppe.«
    »Und ihr habt ›nein‹ gesagt?« Hoffnungsvoll sieht sie mich an.
    »Natürlich«, erwidere ich, denn ich steh absolut nicht auf Politik. »Ich hab gesagt, er soll sich verpissen mit seinen Plakaten. Und plötzlich blitzt es auf. Foto, verstehste?« Ich mache eine entsprechende Handbewegung. »Utta Piotrowski hatte uns fotografiert.«
    »Margots Frisurendouble?« Jule macht große Augen.
    »Unsere alte Ober- FDJ lerin«, nicke ich, »macht jetzt aber einen auf Punk. Mit kurzen grünen Haaren.«
    »Ich weiß.« Jule nippt gespannt an ihrem Pappbecher. »Und weiter?«
    »Zwei Tage später verteilen die Zecken überall in der Stadt ihre linke Antifapostille ›Gegenwehr‹. Titelstory: ›Katenbachs rechte Schläger‹. Mit dem Foto von uns.« Ich bestelle noch zwei große Bier. »Das konnten wir natürlich nicht auf uns sitzen lassen. Also sind wir hin zum Podtsch.«
    »Und habt den Laden mal ordentlich aufgemischt.« Jule seufzt.
    »Wir wollten eigentlich nur die Sache klarstellen«, erkläre ich, »mit den Zecken reden und so. Die wollten aber nicht mit uns reden. Na ja, wir sind in die Kneipe, haben gesoffen und waren ziemlich wütend deswegen. Also sind wir noch mal hin zum Podtsch. Und dann ist die Sache etwas außer Kontrolle geraten.«
    »Ich kann es mir lebhaft vorstellen.« Jule wischt sich den Bierschaum vom Mund und schüttelt sich. »Was hast du eigentlich gegen die …«, fast hätte sie »Zecken« gesagt, aber sie kriegt noch die politisch korrekte Kurve, »… gegen die Linken? Ich meine, die haben dir nichts getan. Gut, das mit dem Foto war blöd, aber …«
    »Das war absolut daneben«, unterbreche ich sie. »Eigentlich hätte man die wegen …« Wie hieß dieses Scheißwort noch mal? »… Verleumdung? Genau! Die hätte man wegen Verleumdung anzeigen müssen! Dann hätten die vor Gericht gestanden und nicht wir.«
    »Und warum habt ihr’s nicht getan?« Jules Augen blitzen.
    Ich liebe es, wenn sie sich so aufregt.
    »Warum habt ihr sie nicht angezeigt? Stattdessen prügelt ihr sie krankenhausreif – echt!« Sie tippt sich gegen die Stirn. »Intelligenz geht anders!«
    Das ist genau der Punkt, denke ich. Jule quatscht schon genau wie diese ganzen alternativen Arschlöcher.
    »Ich bin eben ein emotionaler Mensch«, gebe ich zu, »keine Intelligenzbestie. Muss man das heute sein?«
    »Es ist besser, vorher nachzudenken«, antwortet Jule. »Das war es schon immer.«
    »Was ich an diesen ganzen linken Zecken hasse, ist, dass sie sich für was Besseres

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