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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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weil ich ‘ner Freundin Blumen schenken wollte?«
    »Nicht, weil du Blumen schenken wolltest.« Leutner gibt mir Feuer. »Sondern weil du gegen deine Bewährungsauflagen verstoßen hast.« Er nimmt sich selbst eine Zigarette, steckt sie sich ebenfalls an. »Ich hab’s dir hundertmal erklärt: Du bist vor Gericht mit Bewährung davongekommen, weil ich mich für dich eingesetzt habe. Weil ich an dich geglaubt habe. Weil du dich reuevoll gezeigt und Besserung gelobt hast. Und wir haben eine zusätzliche Sicherung eingebaut. Die Auflage, dich dem Verein nicht mehr zu nähern.« Er inhaliert und schüttelt den Kopf. »Aber dir ist das egal. Es interessiert dich nicht. Du spazierst trotzdem da rein, der großartige Andreas Kudella. Hoppla, hier komm ich! Und wunderst dich noch, dass die in Angst und Schrecken verfallen.«
    »Die haben echt ‘n Knall, die Zecken!«
    »Fehlt es dir wirklich so an Empathie? Geht das nicht in deinen Kopf rein? Da sind Menschen brutal überfallen und verletzt worden, die nichts anderes wollten als ein besseres Leben. Die sich gesellschaftlich einsetzen und nur ihren Job machen. Die niemandem was getan haben. Und dann ihr: betrunken, grölend, gewalttätig. Stürmt da rein, nur so aus  Fun . Mal den Zecken eins aufs Maul geben, zeigen, wo der Hammer hängt. Noch heute sind Betroffene traumatisiert, aber für dich sind das ja nur Weicheier, nicht wahr? Müssen eben härter werden, das Leben ist Kampf, oder? – Nur, dass Kampf und Kampf zwei unterschiedliche Dinge sind, Andreas. Die einen versuchen es zivil, die anderen mit Gewalt.«
    Gott, was labert der mich jetzt voll, denke ich, das hatten wir doch schon alles. Mir tut ja leid, was damals passiert ist, aber wir waren halt alle besoffen. Und wir haben gebüßt dafür. Speiche sitzt heute noch im Knast.
    »Wen wolltest du da überhaupt besuchen?«
    »Jule«, antworte ich, »’ne alte Freundin von mir. War vier Jahre in Düsseldorf.«
    »Ich glaube, du hast mal von ihr erzählt«, nickt Leutner und streift seine Asche ab. »Ist das die, mit der du den Tanzkurs gemacht hast?«
    » Óla, la chica salsissima . Das war’n noch Zeiten!«
    »Und«, erkundigt er sich, »willst du wieder mit ihr tanzen gehen?«
    »Erst mal wollte ich ihr nur Blumen schenken.«
    »Mhm …« Leutner streicht sich nachdenklich über den Kopf und raucht. Nach einer Weile erhebt er sich.
    »In Ordnung, gehen wir!«
    Ich starre ihn an. Hat der »Gehen wir« gesagt?
    »Na los!« Leutner klopft an die Zellentür, damit sie von außen entriegelt wird. »Der Podtsch e.V. verzichtet vorläufig auf eine Anzeige gegen dich.«
    Ein Uniformierter lässt uns raus.
    »Und das«, sagt Leutner weiter, »hast du womöglich deiner hübschen Tanzpartnerin zu verdanken.«
    Und wie hübsch sie ist!
    Jule wartet im Regen vor dem Polizeirevier auf mich und sieht nicht mehr ganz so hippiemäßig aus. Sie trägt heute enge, ausgeblichene Jeans und statt ihrer blumenbestickten Weste einen braunen Anorak, so ein abgestepptes Teil mit Fell an der Kapuze. Und sie hat meinen Hut auf dem Kopf.
    »Hey, Conchitababy!«
    Mann, wie ich mich freue. Meine Süße holt mich aus dem Knast. Und sie lässt sich, zugegeben etwas widerspenstig, sogar von mir in den Arm nehmen. Wie weich sie sich anfühlt, wie gut sie riecht, wie schön sie ist. Ich sehe sie an.
    »Alles klar?«
    »Mal sehen«, antwortet sie und drückt mir meinen Hut auf die Glatze. »Hast du Hunger?«
    »Und wie!«
    »Auf geht’s«, sagt sie und wendet sich zur Seite, »ich spendiere uns ‘ne Bratwurst.«
    Im »Imbiss am Ring« gibt es die besten Bratwürste von ganz Zittau. Das war schon früher so, und so ist es noch heute. Nur die Preise haben sich verzehnfacht. Die Würste kosten jetzt harte Westmark.
    Wir trinken Bier aus Pappbechern dazu, mein Herz läuft Galopp, und ich kriege mein Gesicht einfach nicht unter Kontrolle. Es strahlt Jule unverwandt an. Total peinlich, aber es geht einfach nicht anders.
    Wir sagen kein Wort, kauen unsere Würste, trinken Bier und lächeln uns zu. Seelenverwandte müssen nicht reden, denke ich, sie verstehen sich auch so.
    Über uns pladdert der Regen aufs Vordach des Imbissstandes, über den Ring spritzen die Autos, und ich bin glücklich. Am liebsten würde ich den Moment festhalten, ausdehnen bis in die Ewigkeit. Von mir aus könnte die Welt jetzt stoppen, ein angehaltener Augenblick wie auf einer Fotografie: Jule und ich am Imbissstand.
    »Wieso?«, fragt sie nach einer Weile.
    Ich verstehe nicht.

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