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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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sonderlich beliebt, was einerseits damit zusammenhing, dass sie seit dem Krieg in Häusern lebten, die einst Deutschen gehörten, und andererseits mit der Propaganda der Sozialistischen Einheitspartei, die nach dem Aufkommen der Solidarnosc in der Volksrepublik ganz eifrig die üblichen Vorurteile bediente und das Lied vom faulen Polacken sang, damit sich in der  DDR  ja niemand ein Beispiel an Lech Walesa und seiner freien Danziger Gewerkschaft nahm.
    Immerhin erkannte man an den vielen Häusern aus der Gründerzeit, dass dieser Teil der Stadt einst den Offizieren und ihren Familien vorbehalten gewesen war. Zu Kaisers Zeiten war Görlitz Garnison. Die roten Klinkerbauten der Kasernen standen noch, und in der ehemaligen Ruhmeshalle befand sich jetzt das Miejski Dom Kultury, das Kulturzentrum von Zgorzelec. Davor gab es einen Markt, auf dem man neben günstigen polnischen Naturalien wie Wurst und Fleisch auch billig Wodka und Zigaretten erstehen konnte und auch sonst jeder Plunder seinen Käufer fand.
    Vor allem die unzähligen jungen Leute fielen auf. In Zgorzelec schien kaum jemand älter als dreißig zu sein. Überall junge Mütter mit Kindern, Taxifahrer, die kaum im Führerscheinalter waren, Polizisten, die man bestenfalls in einer Verkehrsschule vermutet hätte, und geschäftig unter Schirmen umhereilende Mädchen in flotten Business-Kostümen. Alte Menschen dagegen sah man kaum.
    Schwartz stoppte den Wagen am Straßenrand und erkundigte sich in einem radebrechenden Mischmasch aus Deutsch, Englisch und Russisch bei einem jungen Mann, wo er das Einwohnermeldeamt finden könne. Der junge Mann wusste nicht recht, was der schwarze Deutsche von ihm wollte, und zog einen zweiten Mann zurate. Wenig später standen Dutzende von Polen im strömenden Regen um den verwirrten Oberkommissar herum und beratschlagten gestikulierend, was zu tun sei.
    »Laila Krajewska«, rief er mehrmals in die Menge. Vielleicht kannte sie ja einer. Und tatsächlich, mehrere Leute fragten nach.
    »Laila Krajewska?«
    »Laila Krajewska«, nickte Schwartz eifrig und bedeutete mit einer Hand über den Augen, dass er sie suche.
    »Ah.« Die Polen schienen verstanden zu haben. Oder auch nicht, denn sie setzten sich plötzlich alle in die Déesse.
    Schwartz fiel das Herz in die Hosentasche, denn galten die Polen nicht als ein Volk von Autodieben? Wurde sein Wagen nun gehijackt? War es womöglich ein furchtbarer Fehler gewesen, mit dem kostbaren Wagen hierhergefahren zu sein? Die Polen hatten auf der Rückbank und dem Beifahrersitz Platz genommen und bedeuteten ihm, endlich auch einzusteigen.
    »Laila Krajewska«, riefen sie immer wieder und noch andere Dinge, die er nicht verstand. Aber schließlich war er wegen Laila Krajewska hier, und da auch einige sehr freundlich aussehende Mädchen in sein Auto geklettert waren, setzte er sich hinters Steuer und fuhr, vielstimmig mal  » na prawo «  oder  » na lewo «  geleitet, durch die regennassen Straßen von Zgorzelec, bis es  » prosto «  zum  » biuro meldunkowe «  ging, zum Einwohnermeldeamt.
    Schwartz dankte seinen Helfern mit großen Gesten, doch die winkten ab. Hilfe sei in Polen selbstverständlich. Und zwei der Mädchen führten ihn auch zur richtigen Stelle im  »biuro meldunkowe«  und redeten dort auf einen blutjungen Beamten ein, der aufmerksam zuhörte und dann in einem Karteikartenregister nachsah.
    »Krajewska«, murmelte er nachdenklich, »Laila. – Aha!« Er hatte es, zog eine Karteikarte hervor.  » Brzozowa czterna ś cie .«  Dann folgte eine wortreiche Wegbeschreibung, in der mehrmals das deutsche Wort »Gartenstadt« vorkam, sonst aber nichts zu verstehen war.
    Polnisch, dachte Schwartz. Wenn ich mit diesem Fall durch bin, werde ich Polnisch lernen. Es ist eine Schande, wenn man den nächsten Nachbarn nicht versteht.
    Er folgte den Mädchen wieder hinunter auf die Straße, wo die anderen gespannt in der Déesse gewartet hatten. Die Mädchen erzählten, dass man diese Laila Krajewska ausfindig gemacht habe, und alle freuten sich, klatschten in die Hände und waren zufrieden.
    Wieder ging es durch die Stadt, diesmal in ein Viertel, das seinen deutschen Namen beibehalten hatte: Die Gartenstadt. Kleinere, in den zwanziger und dreißiger Jahren erbaute Mehrfamilienhäuser unter alten Bäumen in hübschen, schon sehr herbstlichen Gärten.
    Laila Krajewska wohnte im ersten Stock der Hausnummer vierzehn, in einer kleinen Wohnung, die sie, da es keinen Fahrstuhl gab, seit

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