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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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vis-à-vis der Kirche, im Schatten der dunklen Türme. Die Leuchtreklame des Restaurants ist um diese Zeit abgeschaltet. Alles duster. Wenn ich nah genug an den Häusern bleibe, bin ich quasi unsichtbar. Zumindest wenn man nicht so genau darauf achtet.
    Angespannt beobachte ich das Treiben auf dem Platz. Ein paar Grüppchen von Demonstranten stehen noch herum und diskutieren, der Pfarrer schließt seine Kirche ab, an der Mahnwache haben sie die Gitarren rausgeholt und klampfen leise melancholische Protestsongs. Kehrmaschinen fegen Wachsreste und Kippen vom Platz, die Spurensicherer sind mit ihrer Krabbelei beschäftigt, zwei Zivilbullen hängen laut schnarchend in einem Golf, zwei andere Uniformierte unterhalten sich leise und rauchen. Dann sind da noch die Feuerwehrmänner. Aber auch die sind müde und lehnen schläfrig an ihren Fahrzeugen.
    Also los. Leise und geduckt laufe ich im Schatten der Häuser auf den »Johannishof« zu. Die Tür unten ist abgeschlossen, also drücke ich vorsichtig den Klingelknopf. Glücklicherweise ist die Türglocke von draußen kaum zu hören. Ich klingle noch mal nachdrücklicher. Es dauert, bis drinnen Licht gemacht wird. Kurz darauf kommt der alte Rouché angelatscht, hinter ihm seine Frau.
    »Was wollen Sie denn? Mitten in der Nacht, wissen Sie, wie spät es mpfff …«
    Ich drücke dem alten Herrn die Hand auf den Mund, bevor er weiterquatschen kann und die Bullen doch noch auf mich aufmerksam werden, und schiebe ihn ins Haus zurück. Frau Rouché will drauflosschreien, doch ich zeige ihr unmissverständlich die tschechische Armeepistole, und schon ist auch sie mucksmäuschenstill. Irre, was man mit so einer Knarre alles richten kann. Leise ziehe ich die Tür hinter mir zu und lasse den Alten los.
    »Keine Panik«, raune ich dem verängstigten Ehepaar beruhigend zu, »ich komme in friedlicher Absicht, will nichts klauen und nichts rauben, sondern nur einen Ihrer Gäste besuchen, klar?«
    »Das Fräulein Latte, nehme ich an«, knurrt Herr Rouché verärgert.
    »Genau«, nicke ich und deute durch die Fenster nach draußen, »und ich möchte nicht, dass die Bullen da draußen das spitzkriegen.«
    »Weil die Sie sonst verhaften?«
    »Warum sollten sie«, gebe ich zurück, »ich habe nichts getan.«
    »Wer’s glaubt …« Frau Rouché verdreht die Augen.
    »Sie gehen jetzt rauf«, sage ich zu ihr, »und holen Jule, also … das Fräulein Latte, klar? Und falls Sie irgendwie auf den dummen Gedanken kommen sollten, ein Telefon zu benutzen oder Zeter und Mordio zu schreien, sollten Sie nicht vergessen, dass Ihr werter Gatte bei mir hier unten ist. Haben Sie mich verstanden?«
    »Verbrecher«, schnaubt die Rouché und steigt missmutig die Treppe hinauf.
    »Würden Sie mir wirklich etwas antun?« Herr Rouché macht sich hinter dem Tresen zu schaffen. »Ich meine, an sich machen Sie doch einen ganz netten Eindruck.«
    »Der täuscht«, erwidere ich, »denn nett war ich noch nie. Trotzdem muss ich nicht automatisch ein schlechter Mensch sein.«
    »Eben.« Herr Rouchè zapft sich ein Bier. »Wollen Sie auch eins? Geht aufs Haus. Und packen Sie bloß ihre dämliche Waffe weg. Damit kommen Sie beim Fräulein Latte nicht weit.«
    Recht hat er, denke ich und stecke die Pistole ein. Obwohl ich ohnehin nichts zu gewinnen habe, das sehe ich gleich, als Jule hinter der alten Rouché die Treppe herunterkommt. Dabei sieht sie so sexy aus in ihrem gestreiften Seidenpyjama, und das lange Haar flutet ihr weich über die schmalen Schultern. Doch ihre Augen starren mich wütend und hasserfüllt an, was mir einen gewaltigen Stich ins Herz gibt. Es stimmt, dass Blicke töten können. Jedenfalls fast.
    »Hey, Con…, äh, Jule … ähm, Lia«, versuche ich sie mit korrekter Ansprache zu versöhnen und halte den von ihr geschriebenen Zettel hoch. »Du wolltest doch mit mir reden, oder? Tut mir leid, dass ich nicht da war vorhin …«
    »Wo sind die Mädchen?«
    Was für Mädchen? Wovon redet sie, verdammt noch mal? Ich dachte, hier ginge es um Waffen, Faschokram oder meine Seekriegsflagge …
    »Wohin habt ihr sie verschleppt?«
    »Ju… ähm, Lia, ich weiß gerade nicht …« Doch dann ahne ich es. Meint Julchen etwa die Mädels aus dem Bus? Glaubt sie, ich hätte bei dem Anschlag mitgemacht?
    »Moment mal«, sage ich, »mit der Scheiße habe ich echt nichts zu tun!«
    Die Rouché lacht spitz auf.
    »Ehrlich«, beteuere ich, »ich hab den Bus nicht angesteckt, ich … ich … ich …«
    Ja, was? Soll ich

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