Grenzwärts
ihr erzählen, dass ich diesen Scheißbus hierhergelotst habe, um Roland eins auszuwischen? Wie soll ich ihr überhaupt erklären, dass ich den Bus hierherlotsen konnte ? Ich meine, das würde wahnsinnig viele Fragen aufwerfen. Völlig zu Recht!
Mir wird abwechselnd heiß und kalt. Andreas Kudella, denke ich, du hast dich mal wieder total in die Scheiße geritten. Und ich habe keine Ahnung, wie ich mich da herauswinden soll.
»Wir haben nur dagestanden und geguckt«, sage ich schließlich, »wir waren genauso überrascht wie alle anderen, als da plötzlich die Typen gekommen sind und Randale gemacht haben. Aber wir hatten nichts mit denen zu tun.« Ich hebe die Hand. »Das schwöre ich dir, Jule, ganz ehrlich!«
»Hau ab«, sagt sie nur kalt und wendet sich ab. »Hau einfach ab, okay? Lass mich in Ruhe!«
»Aber Jule, wieso denn?«, rufe ich mit zunehmender Verzweiflung. »Ich habe nichts getan! Ich habe die Mädchen nicht entführt, was glaubst du denn? Ich bin doch nicht pervers oder so. Das waren andere!«
Aber sie hört mir nicht zu. Sie verschwindet einfach im Obergeschoss und lässt mich stehen.
Hilflos sehe ich die Rouchés an. »Helfen Sie mir! Sie wissen doch, dass ich vorher da war. Ich habe doch hier zwei Bier gekauft und …«
»Sie haben gehört, was Fräulein Latte gesagt hat«, unterbricht mich Herr Rouché ruhig und nimmt mich am Arm. »Und jetzt gehen Sie, bitte.«
»Aber …«
»Seien Sie ruhig«, zischt er und bringt mich zur Tür, »das bringt doch nichts. Nicht um diese Zeit.«
»Kann ich morgen noch mal wiederkommen?«
Herr Rouché seufzt. »Ich weiß es nicht«, sagt er nach einer Weile. »Ich kann ja mal versuchen, mit ihr zu reden. Aber jetzt gehen Sie!« Er öffnet die Tür, sieht sich vorsichtig um. »Schnell! Die Luft ist rein.« Und damit schiebt er mich hinaus.
Nachtfrost empfängt mich. Die Spurensicherer kriechen noch immer um den ausgebrannten Bus herum, Feuerwehrleute und Bullen gähnen übermüdet. Nur ich bin hellwach. Ich kann es nicht fassen! Warum traut mir Jule so etwas zu? So eine durchgeknallte Scheiße würde ich doch nie … Ich bin doch kein Arschloch, verdammt! Jedenfalls nicht so eines. Und das werde ich ihr, verdammt noch mal, beweisen.
29
LOSCHWITZ IST EIN IDYLLISCHES Villenviertel. Tagsüber jedenfalls. Am rechten Elbufer gelegen und mit den Hängen nach Westen ausgerichtet, bietet es einen grandiosen Panoramablick auf eine der schönsten Städte der Welt. Fand jedenfalls Schwartz.
Und er war mit seiner Ansicht nicht allein, denn schon immer zog es Adelige und reiche Dresdner Bürger nach Loschwitz. Berühmte Künstler und Geistesgrößen hatten hier gelebt und sich prächtige Sommerhäuser und Villen in parkartigen Gärten gebaut. Dann kamen die Nazis und vertrieben die Juden, um sich selbst in deren Häusern breitzumachen, und nach dem Krieg war es mit der Loschwitzer Pracht ohnehin erst mal vorbei. Die Villen wurden unter russischer Besatzung enteignet und verstaatlicht. In den ehemals herrschaftlichen Häusern wurden Ausgebombte einquartiert, die großzügigen Wohnungen wurden mehrfach geteilt und später von den DDR -Behörden Bedürftigen oder Begünstigten zugewiesen. Nur wenige der alten Loschwitzer Bürger durften bleiben. Sie hatten sich entweder mit der SED -Führung arrangiert oder waren selbst stramme Parteigänger geworden.
Seit der Wende fand nun erneut ein Wechsel der Bewohner statt. Alte Reiche kamen zurück, Neureiche kauften sich ein. Denn noch immer war Loschwitz eine der begehrtesten Lagen Dresdens und auch sonst ein herrlicher Ort.
Obgleich man im Augenblick nicht viel davon sah, denn es war tiefe Nacht. Über der Elbe stand dichter Nebel, hüllte die alte Loschwitzer Stahlbrücke, das berühmte »Blaue Wunder«, ein und waberte die Hänge hinauf, dass man sich fühlte wie in einer alten Edgar-Wallace-Verfilmung.
Schwartz kam von Osten her die Grundstraße hinuntergefahren und bog erst rechts in die Pillnitzer Landstraße, dann in die Schillerstraße ein. Doch schon in Höhe der Plattleite war die Straße von Polizeifahrzeugen gesperrt. Ein Beamter bedeutete ihm, anzuhalten.
Schwartz kurbelte die Scheibe herunter, stellte sich vor und hielt seinen Dienstausweis hinaus.
»Ah, Sie übernehmen die Einsatzleitung«, stellte der Beamte fest.
»Gezwungenermaßen«, gab Schwartz zu. »Wo muss ich hin?«
»Hier rechts hoch«, der Beamte wies den Weg, »der schwarze Bulli. Sie werden schon erwartet.«
Schwartz dankte und
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