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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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irgendeiner Hysterie. Erst kürzlich lief eine Dokumentation über Frauen mit Sauberkeitsfimmel im Fernsehen. Das sei eine Art Depression, hieß es. Weil man die Psyche nicht putzen kann, säubert man die Wohnung. Immer wieder. Manisch. Oder so ähnlich.
    »Sie sind auch nicht von hier, oder?«
    »Doch, doch«, nickte Schwartz, »aus Dittelsdorf. Klingt fast wie Ihr Düsseldorf, ist aber ganz in der Nähe.«
    »Ehrlich? So sehen Sie gar nicht aus.«
    »Mein Vater stammt aus Ghana«, erklärte Schwartz. »Ich bin sozusagen ein Unfall aus seiner Studentenzeit.« Er reichte ihr die Hand und stellte sich vor. »Kriminaloberkommissar Schwartz.«
    Die junge Frau zog die hübsche Stirn kraus. »Sie heißen nicht wirklich Schwarz.«
    »Oh doch, Schwartz mit tz. Das ist der Name meiner Mutter.«
    »Und Sie ermitteln jetzt wegen dem Brandanschlag?«
    Nein, dachte Schwartz, nicht wegen dem, sondern wegen des Brandanschlages.
    »Und Sie«, erkundigte er sich, »was machen Sie so? Sie sind doch nicht nur nach Zittau gekommen, um Blumen auf das Grab Ihrer Tante zu legen?«
    »Nein, ich mache …« Sie lief jetzt zügig auf einen Grabstein zu. »… ein Praktikum im Podtsch e.V. Ich will Soziologie studieren.«
    »Ah«, machte Schwartz und blieb nah an ihr dran, »und dafür braucht man vorher ein Praktikum?«
    »Nicht unbedingt. Aber es ist besser.« Die junge Frau ging mit gesenktem Kopf um den Grabstein herum.
    Sie sucht etwas auf dem Boden, schlussfolgerte Schwartz, vermutlich ein Stück Papier. Na, mal sehen. Vielleicht finde ich es ja schneller als sie.
    »Podtsch«, fragte er gedehnt und ließ seinen Blick nun ebenfalls über den Boden schweifen, »was heißt das eigentlich?«
    »Polen, Deutschland, Tschechien«, antwortete die junge Frau, »Podtsch eben. Wir sind hier im sächsischen Dreiländereck.«
    »Ich weiß«, nickte Schwartz und rannte schnell zu einem auffällig gelben Zettel, der feucht neben einem Säulenwacholder lag. Bei genauerem Hinsehen erwies sich der Zettel aber dann doch nur als großes welkes Blatt von einem Baum. Enttäuscht richtete sich Schwartz wieder auf.
    »Und was macht man so als Praktikantin im Podtsch?«
    »Wir beschäftigen uns mit Ideen für die Zukunft. Immerhin sind wir hier im Zentrum Europas. Drei verschiedene Sprachräume.« Die junge Frau bewegte sich jetzt langsam auf die Kirche zu. »Ein Land, das geprägt ist von den Verwerfungen der jüngeren Geschichte, von Vorurteilen und enormen Umweltzerstörungen durch den rücksichtslosen Abbau der Braunkohle.«
    »Ich dachte immer, die Kohle wäre ein Segen.«
    »Wegen der Arbeitsplätze?« Die junge Frau schüttelte die langen Locken. »Kurzfristig mag sie das Land reich gemacht haben. Aber langfristig gesehen ist sie ein Fluch.«
    »Und dieser Podtsch sucht nach Alternativen, nehme ich an.«
    »Nicht nur.« Sie hatte wieder etwas gefunden und bückte sich. »Wir wollen die Sprachbarrieren zwischen den Völkern abbauen, Vorurteile überwinden, Voraussetzungen schaffen für ein neues Miteinander.« Es war wohl doch nicht das Richtige, denn sie ließ das Gefundene wieder fallen. »Der Zusammenbruch des Kommunismus und der damit verbundene Wegfall alter gesellschaftlicher Normen hat die Menschen hier stark verunsichert. Aber genau das kann und muss man auch als Chance begreifen. Die Frage ist immer: Wie geht man mit Veränderungen um?«
    »Verstehe«, nickte Schwartz, »und das brauchen Sie für Ihre Soziologie.«
    »Das ist Soziologie«, stellte die junge Frau klar und sah ratlos über den Kirchhof.
    »Ist Ihre Tante schon lange tot?«
    »Ja, das ist schon etwas her.« Erneut wechselte sie die Richtung. »Aber ich will Sie wirklich nicht länger von Ihrer Arbeit abhalten.«
    »Sie halten mich nicht ab.« Schwartz folgte ihr. »Im Gegenteil, ich finde es sehr interessant.«
    »Interessant?« Die junge Frau blieb abrupt stehen. »Wie meinen Sie das?«
    Schwartz suchte noch nach einer passenden Antwort, als sie plötzlich an ihm vorbeistürmte.
    »Ah, da ist ja das Grab!«
    Schwartz folgte ihr rasch mit dem Blick und sah noch, wie sie die Blumen auf einen verwitterten Grabstein legte. Aber hatte sie auch etwas eingesteckt?
    Und wenn ja, was?
    Verdammt, er hatte es nicht gesehen. Die Kleine hatte ihn geschickt und sehr fix ausgetrickst. Ihn erst abgelenkt, um dann schnell wie eine Katze zuzuschlagen. Hut ab, Mademoiselle!
    Er trat neben sie an den Grabstein.
    ADOLPH KRONSTEIN
    3.8.1812 – 15.5.1875
    EMILIE KRONSTEIN, GEB. DREWS
    17.12.1820 –

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