Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
Vom Netzwerk:
liege ich hier und warte. In einem schmalen Waldstück an der Weißenberger Straße am Ortsrand von Reichenbach. Das Gehöft des Bodo Kleinlich liegt etwas abseits. Es ist nach vorn von der Straße, nach hinten von einem Acker begrenzt. Die Gebäude bilden von oben gesehen ein U. Links ein Stall oder eine Scheune, rechts ein größerer Geräteschuppen, mittig das Wohnhaus. Alles in den sechziger oder siebziger Jahren erbaut, Rauputz und Wellasbestdächer, vieles improvisiert und typisch für die  DDR . Der schwarze Opel Vectra steht vor der Einfahrt.
    Noch ist es sehr neblig, und ein feiner Sprühregen liegt über dem Land. Ich hatte gehofft, unter den Bäumen des Waldes etwas Schutz zu finden, trotzdem werden allmählich die Klamotten klamm.
    Na los, kleinlicher Bodo, denke ich fröstelnd, zeig dich! Die Frau von der Mietwagenfirma sagte, du willst das Auto heute bis mittags um zwölf zurückbringen, also solltest du langsam mal aufstehen. Ich hab schließlich ein Hühnchen mit dir zu rupfen.
    Ungeduldig ziehe ich eine Karo aus der Schachtel und stecke sie mir zwischen die Lippen. Anstecken kann ich sie mir nicht mehr, denn plötzlich tut sich was im Hof. Na endlich!
    Ein kleiner, etwas untersetzter Mann mit Halbglatze kommt aus dem Haus. Er trägt Gummistiefel und will offenbar die Tiere füttern oder ihr Gehege ausmisten, denn er nimmt einen verbeulten Blecheimer und eine Heugabel aus dem Geräteschuppen und geht damit rüber zum Stall. Sonst ist niemand zu sehen.
    Lautlos schleiche ich mich heran. Nur mit viel Phantasie kann man sich diesen vollkommen harmlos wirkenden Kleinlich als den maskierten Bomberjackenträger von gestern Abend vorstellen. Es ist eben wie so oft: Die größten Abgründe lauern hinter der scheinbaren Normalität des Alltags. Tagsüber ein braver Bauer, nachts macht er den wilden Mann.
    Geduckt laufe ich über die Straße, beziehe hinter dem Vectra Deckung und sehe rüber zum Stall. Das Gegacker von Hühnern ist zu hören und ein aufgeregter Hahn. Offenbar gibt’s was zu futtern.
    Mit fünf Schritten bin ich am Stall, drücke mich an die Wand und schiebe mich vorsichtig zur Tür heran. Dann entsichere ich die Pistole und linse vorsichtig in den Stall hinein. Bodo ist beschäftigt und bemerkt mich nicht. Um ihn wackeln gackernd die Hühner herum, putt, putt, putt, während er mit der Gabel das Heu wendet, weiß der Teufel, warum. Vielleicht um es zu lockern – ich habe keine Ahnung.
    Ich warte, bis Bauer Bodo ahnungslos die für meinen Angriff günstigste Position einnimmt, bin dann mit einem Satz bei ihm und kicke ihm mit dem rechten Fuß die Heugabel aus der Hand. Hühner stieben flügelschlagend auseinander, die Gabel fliegt irgendwohin, und noch bevor der überraschte Bodo begreift, wie ihm geschieht, trete ich ihm mit einer schnellen halben Körperdrehung und gestrecktem Bein gegen die Brust. Rücklings stürzt er ins Heu. Ich knie mich auf ihn und drücke ihm den Lauf der Pistole zwischen die Augen.
    »Heiße Vorstellung gestern«, raune ich leise, während sich die Hühner wieder beruhigen. »Darf man erfahren, was das Ganze sollte?«
    Bodo flackert angstvoll mit den Augen und schnappt hilflos nach Luft. Entweder der Kerl ist ein Held oder stumm.
    »Wo sind die Mädels?« Ich spanne den Hahn der Pistole, bis er leise klackend einrastet. »Na?«
    »W-was ffff… für M-mädels?«
    Ein Stotterer, schon klar. »D-die M-mädels aus d-dem B-bus«, passe ich mich spöttisch seinem Ton an. »Spuck’s aus, perverse Sau: Was habt ihr mit ihnen gemacht?«
    »I-i-i…
    »I-i-was?« Ich haue ihm erst mal zwei runter, dass es klatscht. Vielleicht findet er so zur deutschen Sprache zurück. »Reiß dich zusammen, ich hab nicht ewig Zeit. Die Mädels! Wo sind sie?«
    »I…«
    Mann, denke ich, und will noch mal zulangen, doch plötzlich kommt es wie geschmiert.
    »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen!«
    »Nicht?« Für diese dreiste Lüge gibt’s einen Tritt in die Eier, dass er sich krümmt.
    »Wa-has«, jault er auf, »habe ich getan? Ich, ich …«
    Jetzt wird’s interessant: »Du«, frage ich, »du?«
    »Ich …«
    Ja doch! Und weiter?
    »Ich …«
    Nee, so wird das nichts. »Du, der Bus und die Mädchen«, helfe ich ihm auf die Sprünge, »deshalb bin ich hier. Alles klar?«
    Bodo schüttelt ängstlich den Kopf.
    »Mann, ich hab dich doch gesehen! Der Vectra da draußen.« Ich gebe ihm noch eins auf die Rübe. »M Strich  SX  neunhundertneun. Du warst da, Bodo, leugnen

Weitere Kostenlose Bücher