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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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freigegeben?«
    »Nein, nein«, schrie der Polizist zurück, »das Corpus Delicti soll zur Nachprüfung in die  KPI .«
    »Anordnung von Piontek?«
    »Exakt«, nickte der Polizist.
    Da hatte er ja diesmal richtig schnell geschaltet. Schwartz klappte seinen Schirm auf und sah sich um. Er konnte einen Kaffee gebrauchen, aber auch hier hatten die meisten Geschäfte noch geschlossen. Nur ein Bäcker war schon auf und ein kleiner Blumenladen gegenüber. Eine junge Frau mit langen rotblonden Haaren trat heraus und lief mit einem Strauß weißer Rosen über den Platz. Offenbar wollte sie auf den Kirchhof, doch der war noch immer mit rot-weißen Plastikbändern polizeilich abgesperrt. Die junge Frau schien das nicht zu kümmern. Sie hob das Band an und wollte sich einfach drunter durchducken, wurde aber von aufmerksamen Beamten davon abgehalten.
    Na, wenn das nicht die von heute Nacht ist, überlegte Schwartz. Zwar trug sie keinen feucht glänzenden Anorak, sondern eine bunt bestickte Lammfellweste über einem engen schwarzen Rollkragenpulli, aber er erkannte sie trotzdem. Dafür hatte er einen Blick. Jeder bewegte sich anders, und die meisten Menschen erkannte man am Gang. Und dieses Mädchen hatte denselben leicht unsicheren Schritt wie die junge Frau heute Nacht.
    Langsam lief er auf sie zu. »Gibt’s Probleme?«
    »Ich wollte ein paar Blumen auf das Grab meiner Tante legen.« Die junge Frau lächelte, und Schwartz fiel auf, wie hübsch sie war.
    Geradezu irritierend hübsch, dachte er. Allein diese Augen. Grüne Pupillen, gesprenkelt wie das Gesicht des Mädchens. Sehr schön. Er mochte Sommersprossen.
    »Leider will mich der Polizist nicht zum Kirchhof durchlassen.«
    »Schon gut«, Schwartz zückte seinen Dienstausweis, »ich bin auch Polizist.« Er hielt ihr galant seinen Arm hin. »Kommen Sie unter den Schirm, ich begleite Sie!«
    »Oh, danke, das ist sehr nett.« Die junge Frau wich etwas vor ihm zurück. »Aber ich denke, ich komme allein zurecht.«
    »An meinem Kollegen wären Sie nicht allein vorbeigekommen«, gab Schwartz zu bedenken.
    »Meinen Sie nicht?« Sie sah ihn prüfend an. »Ziemlich ungewöhnlich, ein farbiger Polizist in dieser Gegend.« Sie deutete auf die Mullkompresse an seiner Stirn. »Und offenbar auch nicht ganz ungefährlich.«
    »Man gewöhnt sich dran.« Er nahm sie entschieden am Arm und zog sie unter seinen Schirm. »Bevor Sie wieder nass werden.«
    »Wieso wieder?«
    Schwartz lächelte und beschloss, den Einwurf zu ignorieren. »Wo ist denn das Grab Ihrer Tante?«
    »Ja«, überlegte die junge Frau gedehnt, »wenn ich das wüsste …«
    Langsam liefen sie zwischen den teilweise uralten Gräbern im Schatten der Kirche umher. Verrostete Kreuze, schiefe, halb von Moos und Efeu überwucherte Grabsteine und verwitterte Marmorplatten unter Ahornbäumen und Ulmen, aus deren herbstgelben Kronen der Regen troff.
    »… ich wohne schon seit längerer Zeit in Düsseldorf«, die junge Frau blickte sich langsam um, »und weiß nicht mehr genau, wo das Grab ist.«
    Sie bückte sich nach einem Stückchen Papier, hob es auf. »So was! Sehen Sie nur, das schmeißen die Leute einfach auf den Boden.« Sie warf das Papier in einen Abfalleimer und lachte nervös. »Ja, also ich will Sie dann nicht weiter aufhalten …«
    »Sie halten mich nicht auf«, erwiderte Schwartz. »Ich bin gern auf Friedhöfen.«
    »Tatsächlich?« Die junge Frau machte sich los und lief auf einen verwachsenen Holunderstrauch zu, unter dem etwas Hellgraues schimmerte. »Wenn ich nur wüsste, wo Omas Grab ist …«
    »Tante«, verbesserte Schwartz, »wir suchen das Grab Ihrer Tante.«
    »Sie haben recht«, die junge Frau kroch halb in den Holunderstrauch hinein, »aber auch nicht. Denn im Prinzip war die Tante so alt wie meine Oma.«
    Sie kam mit einem verblichenen Aufruf zum Gottesdienst wieder aus dem Strauch heraus – »hat wohl jemand verloren« – und warf ihn ebenfalls in einen Papierkorb.
    Schwartz überlegte, was die junge Frau hier auf dem Kirchhof wirklich wollte. Irgendwas stimmt mit ihr nicht, dachte er, da ist was faul.
    Erneut hob sie etwas vom Boden auf, besah es sich und ließ die Hand dann ratlos sinken.
    »Kippen lassen Sie liegen?«, erkundigte sich Schwartz.
    »Kippen? Wieso Kippen?« Die junge Frau warf auch dieses Papier in den Müllkorb. »Ich hasse es, wenn immer alle alles fallen lassen.«
    »Ja, das ist schlimm«, nickte Schwartz. Vielleicht hatte er es ja auch nur mit einer Ordnungsfanatikerin zu tun,

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