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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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das Lenkrad halten.
    Was hatte Kaemper wohl gedacht in seinen letzten Sekunden? Als sie die Waffe auf ihn richteten? Was geht dann in einem vor? Ob er um sein Leben gebettelt hat, geweint und geflucht? Oder hat er noch gehofft, dass sie nicht schießen würden? Dass sie ihm nur drohten, um ihrer Forderung oder was auch immer den nötigen Nachdruck zu verleihen?
    Was denkt der Mensch, wenn er dem eigenen Tod ins Auge sieht?
    Ich will nicht sterben, dachte Roland wie in einer Endlosschleife. Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben …
    Und ich werde nicht sterben, wenn ich Swetlana finde – Swetlana, Swetlana …
    Swetlana, zwang er sich, denk nach! Wo konnte die hin sein? Doch wohl nur zu ihrer Schwester, oder? Zu ihrer süßen beschissenen Zwillingsschwester. Da wollte sie immer hin. »Wo ist Jelena?«, hatte sie dauernd geschrien, »ich will zu meiner Schwester Jelena.«
    Aber sie kann nicht wissen, wo Jelena ist. Nicht einmal Kaemper wusste das. Swetlana weiß nicht, wo sie ihre Schwester suchen muss.
    Und deshalb hatte auch Roland keine Ahnung, wo er Swetlana suchen sollte. Es war wie in einem verflixten Teufelskreis, er kam da nicht raus, und er hatte nur noch vierundzwanzig Stunden. Höchstens. Vierundzwanzig Stunden, um Swetlana zu finden. Irgendwo. Irgendwie.
    Roland stoppte den Wagen, stieg aus und schlug den Kragen seines Sakkos hoch. Kalter Nieselregen schlug ihm ins Gesicht. In der Ferne dröhnten die Bagger.
    Vielleicht sollte er einfach abhauen, weg aus Zittau, aus Deutschland, am besten aus ganz Europa. Flucht war immer eine Option. Deshalb hatte er schon vor einem Jahr seine Finanzen geordnet. In der Schweiz. Den Code für das Nummernkonto trug er Tag und Nacht mit sich herum. Der Nachteil dieser Vorgehensweise war, dass er stets einen Haufen Bargeld im Safe der Spedition hatte. Bargeld, das regelmäßig in die Schweiz zu transferieren war. In einem Koffer. Ohne dass deutsche Steuerfahnder oder Zöllner davon etwas mitbekamen. Es war immer ein Risiko. Auch jetzt hatte er gut dreihunderttausend Mark im Safe. Für eine Flucht reichte das.
    Er musste nur noch Kaempers Leiche loswerden. Deshalb war er hier. Er nahm seine Tasche aus dem Fond und sah nach, ob sonst noch irgendetwas im Wagen war, das er gebrauchen konnte. Ein Schirm zum Beispiel wäre bei dem Wetter nicht schlecht, denn Roland hatte seinen Mantel im Büro vergessen. Im Handschuhfach lag eine Waffe. Eine Pistole, offenbar eine Walther  PPK , zumindest war das seitlich in den Lauf eingraviert:  C arl   W alther   W affenfabrik   U lm/   D s.   M odell   PPK   C al. 7.65mm.  – Ob das die Waffe war, mit der sie Kaemper erschossen hatten?
    Roland fing wieder an zu zittern.
    Bloß nicht die Nerven verlieren, beschwor er sich, alles wird gut. Alles muss gut werden, viel schlimmer geht’s ja kaum noch. Jedenfalls nicht, wenn ich einen klaren Kopf behalte.
    Und eine Waffe konnte er in seiner Situation immer gebrauchen. Vorsichtig steckte er sie in die Innentasche seines Sakkos. Dann bückte er sich in den Fußraum, sah nach, dass die Pedale nicht blockieren konnten, und legte den Gang in den Leerlauf. Den Motor ließ er laufen, nur so ließ sich der Wagen aufgrund der Servolenkung einigermaßen steuern. Roland löste die Handbremse und lenkte den Wagen mühsam schiebend ganz nah an die Abbruchkante heran.
    Verdammt, war das schwer. Der Boden war weich und nass, sodass er das Auto zunächst kaum vom Fleck bekam. Doch dann rollte es plötzlich von ganz von selbst und wurde immer schneller. Hastig sprang Roland zur Seite.
    Der Wagen kippte mit der Motorhaube voran über die Abraumkante und verschwand in der Tiefe. Gut fünfzig Meter tiefer krachte er zunächst frontal gegen eine sogenannte Baggerstufe, nicht weggesprengtes Festgestein zum Zwecke der Kantenstabilität, um von der Wucht des Aufpralls weitere hundert Meter in die Tiefe geschleudert zu werden, bevor er völlig zerschmettert auf dem Grund der Tagebaugrube liegen blieb.
    Roland hatte erwartet, dass der Wagen explodieren und verbrennen würde. Aber das passierte nicht. Er lag einfach da, ein einziger Haufen Schrott. Explodieren taten Autos nur in Filmen.
    Unter dem Heck des auf dem Dach liegenden Wracks guckte eine bleiche Hand hervor. Kaempers Hand. Offenbar hatte sich beim Aufprall die Kofferklappe geöffnet.
    Ich will so nicht enden! Roland schluchzte hilflos. Verdammt, ich will das nicht!
    Er versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden, aber auch das gelang nicht. Die

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