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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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Ärmeln schon leicht abgeschubbert, knitterte er allerorten, wie auch Joseph selbst, mit tiefen Augenringen und verwegenem Bartwuchs. Dabei lebte er jetzt in einem Penthouse. All inclusive. Allein. Ohne Frau und ohne Kinder. Dafür aber hochmodern und mit allen nur denkbaren Annehmlichkeiten. Wenn er nach Hause kam, musste er nur fünf Minuten lang ein kleines Computerterminal bedienen und schon ging das Licht an. Manchmal aß er abends noch eine Erbsensuppe in seiner Molteni-Designer-Küche, eine selbst geholte Erbsensuppe von Soup and Soul, die er aufwärmte, und dann schaute er aus dem Fenster und dann sah er die Lichter der Stadt und dann dachte er nach, über das Leben und über das Leben und über das Leben und dann stand er im Bad und dann putzte er die Zähne und dann ging er zu Bett. Es gehe ihm gut, sagte er immer, bevor er einschlief.
    Gretchen Morgenthau gefiel die Szenerie. Sie fühlte sich beinahe wohl. Das Licht hätte sie etwas dramatischer gesetzt und den Zeugenstand etwas höher und weiter nach links gebaut. Aber sie wollte nicht die Diva geben, das war auch gar nicht ihr Naturell, nie. Ihr Anwalt, Henry Wallaby, hatte ihr zu Demut, Reue und schüchterner Schamhaftigkeit geraten. Henry Wallaby war ein Menschenkenner ersten Ranges. Allerdings trug er Anzüge von der Stange. Schlecht sitzende. Er war eine Notlösung, da Gretchen Morgenthaus langjähriger Rechtsbeistand, Dr. William, ungünstig um die Ecke bog als der Lastkraftwagen kam. Henry Wallaby war eigentlich nicht befugt, das Wort zu erheben, er war Dekoration. Dürftige. Denn das Schlachtfeld gebührte seit jeher nur den Furchtlosen. Für Gretchen Morgenthau war es ein Heimspiel. Obschon sie mit dem Theater durch war. Aber wen kümmerte es. Bühne war Bühne, ihr Zuhause, funktionale Automatismen, die Laienschar, ach, sie war des Todes. Vermisst wurde nichts, nur den Rausch konnte sie nie vergessen, wie auch. Ob der Vorhang offen oder geschlossen war, ein Verfolger sie fand oder nicht, wenn der Applaus in Wellen auf sie zurollte, dann breitete sie die Arme aus, schloss die Augen und ertrank. Es gab in ihrem Leben nichts Vergleichbares. Und ein Volkstheater zu bespielen, dafür reichte ein Wimpernschlag. Mochte Blut fließen, mochten Tränen kullern, hier konnte es nur eine Göttin der Morgenröte geben, der Rest war Schaf. Titanen! Kämpft! Kämpft, bis …
    »Frau Intendantin?«
    Gretchen Morgenthau drehte ihren Kopf leicht zur Seite und schaute Joseph an. Sie hatte grundsätzlich Schwierigkeiten, Männer, die außerhalb des Theaters Perücken trugen, als vollwertige Gesprächspartner zu akzeptieren. Aber in dieser Welt, das wusste sie, gab es nichts Wichtigeres als Seilschaften. Ihr fiel auf, dass Joseph ein wenig verwegener aussah, als sie ihn in Erinnerung hatte.
    »Frau Intendantin?«, wiederholte Joseph.
    »Ja, bitte?«
    »Wir waren bei …«
    »Entschuldigen Sie, aber ich verspüre so einen Durst. Könnte ich wohl eine Melange bekommen?«
    »Na, ich bitte Sie, der High Court ist doch kein Wiener Kaffeehaus.«
    Warum so ruppig, dachte Gretchen Morgenthau, aber bitte, wie es uns beliebt. »Kein Wunder, dass niemand Trinkgeld gibt.«
    Das Publikum kicherte leise und Joseph schlug mit einem Hämmerchen auf einen kleinen Sockel aus Nussholz. Kein englischer Richter schlug mit einem Hämmerchen auf einen Sockel aus Nussholz, außer im Fernsehen, in schlechten Serien. Joseph war die Ausnahme. Das Hämmerchen war ein Geschenk seiner Tochter, zum Vierzigsten, und eigentlich machte es ihm sogar Spaß, das Hämmern, es hatte so etwas Handwerkliches, so etwas Verwegenes.
    »Frau Intendantin, wenn wir noch einmal auf die genauen Umstände zu sprechen …«
    »Ach, Sie meinen Anna.«
    »Anna?«
    »Meine Zugehfrau. Aus Rumänien. Eine launische Person. Seit letzter Woche ist unser Verhältnis ein wenig derangiert. Sie erzählte mir, dass sie nur putze, um den Schauspielunterricht bezahlen zu können, und sie fragte, ob ich nicht den ein oder anderen Produzenten kennen würde. Da ich ein gutes Herz habe, gab ich ihr die Visitenkarte von einem der erfolgreichsten Produzenten, die der österreichische Heimatfilm zu bieten hat. Sie fragte, wer dieser Randy Candy sei und welche Art von Filmen ›Ruby, Ruby‹ produziere. Ich verstand nicht recht, was sie meinte. Aufklärungsfilme natürlich. Seither spricht sie in ihrer Kaffeepause nicht mehr mit mir und liest stattdessen demonstrativ Tschechow. Die Möwe. Ich glaube nicht, dass Komödien ihr Metier sind,

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