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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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gleich, wie viel es auch zu essen gab. Kyell packte seine Einkäufe aus, legte die Miesmuscheln in den Kühlschrank, die Chilis in einen kleinen geflochtenen Korb und die Pfirsiche in die hölzerne Obstschale. Er schüttete einen grünen Tee auf, holte den Thymian aus der rechten Hosentasche, rieb ihn wie selbstverständlich zwischen seinen Fingern, roch an ihnen und dachte, dass nur Frauen besser als Gewürze riechen, besser als alle Gewürze auf der Welt, mit Ausnahme von Fenchel. Vielleicht.
    Tule wollte am Abend noch zum Essen vorbeischauen. Tule, sein bester Freund, mit dem er die ersten Schritte ins Leben gestolpert war, mit dem er all die Dinge erlebt hatte, die im Heranwachsen in einer gefährlichen, weil noch unbekannten Welt zu erleben waren, mit dem er fast verblutet, ertrunken und verbrannt wäre, und das nie grundlos. Es gab gar Einwohner, die sie bisweilen zu erschlagen trachteten, vierteilen war eine willkommene Alternative und Gnade gerechterweise keine Option.

9
    Vorher war Totschlag. Danach sollte noch Vergewaltigung sein. Je nachdem, wie schnell sich die Akte Gretchen Morgenthau abarbeiten ließ. Es war der erste Verhandlungstag, und niemand rechnete mit einem zweiten, am wenigsten die Angeklagte selbst. Ihr Erscheinen war im Grunde nur eine Geste der Höflichkeit und das Verfahren nur eine Formalie. Was war denn schon groß vorgefallen?
    Das Interesse indes war bemerkenswert, ungewöhnlich gar, als habe Gott alle Fernseher aus dem Fenster geworfen. Neugierig und ohne jede Scheu musterte das Publikum die Frau Intendantin. Es passierte nicht alle Tage, dass eine Dame der oberen Klasse auf der Anklagebank saß. Eine kleine Berühmtheit obendrein, die Frau Intendantin, die nie Intendantin war, immer nur Regisseurin, aber sie korrigierte nicht, warum auch. Ihre Popularität trug keinen Schaden davon. Zu Dutzenden waren sie erschienen. Dicht gedrängt saßen sie auf den Bänken, das Stammpublikum auf den besten Plätzen, ganz vorne, hautnah, um nicht den leisesten Seufzer, die kleinste Mimik zu verpassen. Einige sahen aus, als würden sie Kissen mögen, auf denen »Sweet Home« gestickt war. Andere auch. Etwas weiter hinten saß eine kleine Gruppe von vier Damen, die zu blond für ihr Alter und zu klein für ihre Größe waren. Gold hing in ihren Gesichtern, Haute Couture an ihren Leibern, nur Stil schien ihnen zu teuer zu sein. In ihren zu bunten Augen sah selbst der Einfältige noch, dass sie für immer verloren waren. Gretchen Morgenthau kannte solche Damen, eheliche Mitbringsel vermögender Männer, die ihr Leben überwintern. Sie gehörten zum Abonnenten-Publikum und wurden allgemeinhin geschmacklos aufgespritzte Champagner-Drosseln aus dem Wohltätigkeitsgewerbe genannt. In Bayreuth oder Salzburg wollten sie nicht sehen, sondern gesehen werden, und solange die Kultur zur Abendgarderobe passte, war alles gut. Schließlich war die Kultur ein Mehrwert, ein Schmuckstück, und ein Parsifal oder ein Othello ähnlich viel wert wie ein Bentley oder eine Kleinigkeit von Glashütte. Reichtum war natürlich keine Schande, so lange man auch etwas mit diesem Reichtum bewirkte oder erschuf, aber es gibt Menschen, dachte sie, deren einziges Ziel im Leben es ist, Geld anzuhäufen. Und dann sterben sie irgendwann und das Einzige, das sie hinterlassen, ist Geld, an ihre wohlstandsverwahrlosten Kinder, die davon Dinge kaufen, die blingbling machen.
    Auf der linken Seite des Saals, etwas im Abseits, saß Fine, die auffällig ihre Daumen drückte und ein wenig nervös wirkte, so, als hätte sie ein schlechtes Gewissen, als hätte sie vergessen zu erwähnen, dass ihr Ex-Schwiegersohn und ehrenwerte Richter Mr. Joseph Parker einen kleinen Groll gegen sie hegte. Dabei war es nur eine Lappalie, ein Fauxpas, um genauer zu sein, es war ihr einfach so rausgerutscht, dass sie ihren Schwiegersohn mit einer anderen Frau gesehen hatte, auch, dass sie ihrer Tochter empfahl, die Scheidung einzureichen und die beiden Kinder mitzunehmen. Dass er so nachtragend sein würde, hätte sie im Leben nicht gedacht, wo sie doch beide Jane Austen mochten. Und Tee.
    Neuerdings jedoch mochte Richter Joseph Parker lieber Absinth und Camus. Obwohl sein Kopf beides nicht vertrug. Er war jetzt im Auftreten mehr ein Künstler. So ein klitzekleinwenig verlottert. Seine Rosshaarperücke von Ede & Ravencroft sah aus, als hätte die letzte Trockenreinigung noch zu Zeiten der Reformation stattgefunden. Auch der Talar war in die Jahre gekommen, an den

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