Gretchen
nächsten Tag werden wir dann mit einem Motorboot hinausfahren, wir werden Dorsche und Steinbeißer dem Meer entreißen, sofern Poseidon nichts dagegen hat. Es wird ein Kampf Mann gegen Fisch, ein fairer Kampf, wie ihn unsere Urahnen noch gefochten haben. Um Dorsche zu fangen, benötigen Sie übrigens Pilker. Ich habe ein ganzes Sortiment an Pilkern in unterschiedlichen Farben und in allen Gewichtsklassen …«
Gretchen Morgenthau nippte an ihrem Glenfiddich und hörte nicht weiter zu. Sie hätte Walter Ringle auch einfach das Reden untersagen können, wollte aber die sonore Geräuschkulisse, die in ihrer Eintönigkeit so etwas Beruhigendes hatte, nicht missen. Ab und an stieß sie ein muffiges »Mmh« hervor, derweil sie verträumt in die Wolken blickte. Dass sie diese Reise tatsächlich antreten musste, kreidete sie ihrem unfähigen Anwalt an. Sie hatte gar keine Zeit für solch einen Unfug, es gab unendlich viel Wichtigeres zu tun, Spitzen schneiden, Yoga, junge Balletttänzer anhimmeln und den Glencheck-Mantel von Boss Black in die Änderung geben. Kurz vor ihrer Abreise ließ sie noch, da sie in letzter Zeit so komische Bauchschmerzen hatte, ein Screening machen, bei Dr. Caleb Mandelberg, dem Sohn ihres werten Nachbarn. Und dann war auch noch diese Interviewanfrage hereingeflattert, von einem deutsch-französischen Fernsehsender, der arte oder so hieß. Es war nicht die erste Einladung einer Fernsehanstalt, angenommen hatte sie keine einzige. Dabei gab sie durchaus gerne Interviews, nur nicht dem Fernsehen. Ins Fernsehen, sagte sie immer, gehen Menschen, die prominent sind. Berühmte Menschen gehen nicht ins Fernsehen. Berühmte Menschen sind für ihre Werke berühmt und nicht für ihre Namen. Die werden erst nachher zum Mythos. Außerdem sollte es bei dem Interview um die Oper gehen, und da war sie nicht unbedingt die allererste Ansprechperson.
Ein einziges Mal hatte sie es mit der Oper versucht. Eine Affäre, eine Herausforderung, ein Kinderspiel. Schuster, bleib bei deinem Leisten war ja nur etwas für Handwerker, da hatte Apelles schon ganz Recht, sagte sie immer. Künstlern aber war es vorbehalten, über den eigenen kleinen Horizont hinauszuschauen und Dinge zu wagen, die eigentlich zu groß waren, aber genau das war ja die Aufgabe eines Künstlers, eben nicht bei seinem Leisten zu bleiben, sondern über sich selbst hinauszuwachsen, um unendlich tief fallen zu können. Das Teatro dell’Opera di Roma hatte ihr angeboten, Meyerbeers »Les Huguenots« zu inszenieren. Zunächst war sie auch voller Flammen. Sie kramte ihre alten Monteverdi- und Mozart-Schallplatten hervor, lauschte beiläufig dem zeitgenössischen Musiktheater eines Sciarrino, plauschte fernmündlich mit Komponistenfreunden über Arvo Pärt, diskutierte mit Opernfreundin Fine, die ihr gut zuriet, und trank dazu ein bis drei Flaschen eines hervorragenden Brunello. Außerdem spielte sie ja leidlich Klavier und das bisschen Libretto und so, das würde sie auch noch hinbekommen. Und wenn Stein, Ritzel, Breth und Konsorten Oper können, dachte sie, dann könne sie das wohl auch. Doch schon nach den ersten Proben merkte sie, dass sie sich übernommen hatte. Die Besetzung der Marguerite de Valois war ein Fiasko, die junge Sopranistin war ein Probenwunder und ein Premierendebakel. Und sie hatte auch keinen Dirigenten wie Harnoncourt, der mit Kontrapunkten und Koloraturen zu spielen verstand, ihr schwedisches »Naturtalent« war einfach nur ein Technokrat. Die Musiker nahmen Gretchen Morgenthau aus Prinzip nicht wahr, als sie merkten, dass ihre musikalische Vorbildung professionellen Ansprüchen nicht gerecht wurde. Das Publikum fegte sie von der Bühne, das einzige Mal, wie sie viele Jahre später zugab, ein klitzekleinwenig zu Recht. Ansonsten war ihr Verhältnis zum Publikum ähnlich ambivalent wie jenes zu ihren Kritikern. Klatschendes Publikum: gutes Publikum. Nicht klatschendes Publikum: bäh.
Dann fiel ihr ein, dass sie George doch noch etwas fragen wollte, denn sie war irritiert, von dem, was sie gesehen hatte im Lichtspielhaus, in das Fine unbedingt wollte, um etwas von Fellini zu sehen, Notting Hill, oder so ähnlich.
»Wieso machen Sie eigentlich diese Kaffeewerbung?«
»Welche Kaffeewerbung?«
»Na die, in der Ihnen ein Klavier auf den Kopf fällt.«
»Mir fällt ein Klavier auf den Kopf?«
»Beinahe. Und Gott ist dieser Malkovich.«
»Gott ist ein Osteuropäer?«
»Nein, ein amerikanischer Schauspieler.«
»Gott?«
»Ach,
Weitere Kostenlose Bücher