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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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bin ein Kind der Stadt, seit jeher gewesen, und ich gedenke nicht, etwas daran zu ändern. Ich besitze auch gar kein Schuhwerk, um durch Morast zu waten und auf Wiesen zu hüpfen.«
    »Sie mögen keine Bäume?«
    »Natürlich mag ich Bäume. Der Blick aus meinem Salon ermöglicht mir jeden Tag aufs Neue diesem Wunder der Natur beizuwohnen. Und so ein kleiner Park hat etwas sehr Pittoreskes, wenn er entsprechend gepflegt wird.«
    »In Gwynfaer soll es noch unberührte Natur geben. Ein Paradies für neugierige und verantwortungsbewusste Menschen.«
    »Die Natur kennt kein Gut oder Böse, sie kennt nur Opfer.«
    »Ich hoffe, Sie sind keine ängstliche Frau, der das Neue Unbehagen bereitet, die sich vor Veränderungen fürchtet.«
    Ängstlich? Es gab Zeiten, in denen sie mit dunklen Halunken in verruchten Wirtshäusern speiunkte, in denen sie professionelle Alkoholiker unter den Tisch trank und Lieder voller Unzucht zum Besten gab. Und als die Blumenkinder die freie Liebe und das bunte Bewusstsein erprobten, da probte sie ehrgeiziger als alle anderen, denn auf ihr Talent alleine wollte sie sich nie verlassen. Sie ließ sich bedingungslos ins Leben fallen, und entweder es fing sie jemand auf oder eben nicht, und dann schüttelte sie den Dreck hinab, spuckte ein bisschen Blut in den Sand und signierte ihre Narben voller Übermut und Trotz. Ihre Jetzterstrechthaberei führte sie an Orte jenseits der Vernunft, in denen es nicht immer gut roch oder fließend Wasser gab, dafür aber Hochmut, Zorn und Wollust, Völlerei, Neid und Trägheit, nur kein Geiz, denn Krämerseelen wurden erschossen, grundsätzlich. Diese Orte aber waren immer voller Menschen, voller Leben, voller Blech und Beton. Die Großstadt war ihr Zuhause, ihre Tragödie und ihr Fatum. Sie mochte Blumen, Bäume und Wiesen, aber sie war nie auf die Idee gekommen, aufs Land zu ziehen, Marmelade einzukochen und den Schmetterlingen zuzuschauen, wie wunderschön sie faltern können. Das Herzallerliebste war ihr stets fremd, sie mochte nicht mal Rosa. Noch nicht einmal bei Givenchy!
    »Es ist nicht die Furcht, es ist die Wurst«, sagte Gretchen Morgenthau.
    »Bitte?«
    »Ich möchte ihr nicht lebend begegnen.«
    »Der Wurst?«
    »Ja.«
    »Welcher Wurst?«
    »Der Wurst an sich. Ich möchte meinen Aufschnitt nicht vorab streicheln müssen. Er riecht nicht gut. Und er sieht nicht schön aus. Ein Patchwork-Mantel von Giambattista Valli ist schön, ein Schwein ist nicht schön.«
    »Es sollen sehr intelligente Tiere sein.«
    »Intelligenz ist Selbstmord.«
    »Wie auch immer, Sie werden auf jeden Fall genügend Zeit haben, sich mit der Natur zu arrangieren.«
    Gretchen Morgenthau ging das alberne Spiel eindeutig zu weit. Als ruchlose Heilige stand sie selbstverständlich über den Dingen. Außerdem hatte sie noch Termine. »Mein lieber Joseph, jetzt mal unter uns Pastorentöchtern: Ich, Gretchen Morgenthau, werde ganz gewiss nicht auf diese Gwynirgendwasinsel fahren und mit lieben, netten Dorfbewohnern ein Theaterstück aufführen. Man hat mir eine Professur am Salzburger Mozarteum angeboten. Dort hätte ich begabte und von Ehrgeiz betrunkene junge Menschen unterrichten können. Aber ich habe abgelehnt. Zu glauben, ich würde stattdessen inzestuöse und unterbelichtete Insulaner mit der Hochkultur vertraut machen, grenzt an infantile Schwindsucht. Den finanziellen Schaden an dem Polizeiwachtmeisterwagen werde ich selbstverständlich begleichen. Und jetzt bitte ich Sie, mich zu entschuldigen, es warten noch verwegene Abenteuer auf mich, reinste Blutbäder, diese Modewochen.«

II

17
    Gretchen Morgenthau hatte sich für den Flug in ein olivgrünes Kostüm von Filippa K gezwängt. Dazu trug sie eine blickdichte, schwarze Strumpfhose von Gerbe und ihre senfgelben Operettas Viardot von John Fluevog. Ein wenig auffällig, gewiss, zumal für den Hinterwald, und um nicht als liebliches Rotkäppchen durchzugehen, hatte sie zur Tarnung einen schwarzen Wollmantel mit Fellkragen von Helmut Lang gewählt. Der nette homosexuelle Flugbegleiter zeigte vollstes Verständnis, als sie ihn bat, den Mantel für sie aufzuhängen.
    Sie flog gerne. Seit Kindheit an. Seit sie an einem Julitag im Jahr 1949 mit ihren Eltern von Wien nach London geflogen war. In einer De Havilland, in der das Fliegen noch Bauchsache und frei von würzigem Tomatensaft war. Am Fenster hatte sie gesessen und staunend die plüschigen Wolken betrachtet, wie sie in Augenhöhe an ihr vorbeischwebten. Ihr fiel ein Stein vom

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