Gretchen
dabei zuschauen können. Sie strahlte so eine vornehme Würde aus in ihrer wunderschönen Altbauwohnung mit den barocken Möbeln und den pittoresken Gemälden. Im Flur stand sogar eine Ritterrüstung. Und wann immer sie putzte, klingelte es an ihrer Haustür. Es waren in der Regel Männer, die etwas brachten oder reparieren wollten. Vom Postboten bis zum Manager war alles dabei, natürlich auch Klempner, die Rohre verlegen wollten. Es gab Schüchterne, wie Lehrer oder Buchhalter, die mussten erst hereingebeten werden, andere, wie Polizisten oder Verbrecher, kannten weder Scheu noch Scham, sie nahmen sich einfach, was sie wollten. Kyell erschrak, wenn Afroamerikaner mitspielten, wenn sie ihre Genitalien auspackten, die sie schwere Geschütze nannten, und wenn Lady Mac Bitch dann die Augen aufriss und sagte: »Oh, mein Gott.« Bei Big Jim, dem extra großen Afroamerikaner aus Lady Mac Bitch and The Magic Mushrooms, fiel sie regelmäßig in Ohnmacht, wachte dann aber rechtzeitig wieder auf, um voller Hingabe grenzenlose Freude zu spenden. Und auch wenn Komplexe wuchsen, so überwog doch die Faszination ob der dargebotenen Liebeskünste, die in ihrem Schauspiel die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zeigten. Nur bei einer Sache war Kyell unsicher, die wollte er nicht recht glauben, die schien ihm doch ein wenig ungeheuer. Sie beschäftigte ihn mehr, als das Universum es je vermochte. Und so fragte er Tule, ob er glaube, dass Frauen tatsächlich so gerne schlucken, und Tule sagte, die Bilder sprächen für sich, da gäbe es kein Vertun, sie lieben es.
14
Die Fahrt vom Flughafen in die Innenstadt von Reykjavik erfüllte alle Befürchtungen mit Bravour. Es war erst fünf Uhr in der Früh, und doch war es schon hell genug, um die gnadenlose Pracht der Vulkaninsel bewundern zu können. Es sah aus, als habe Hollywood die karge Landschaft als Kulisse für eine Mondlandung bauen lassen. Kilometer für Kilometer zog sich die geröllige Tristesse hin, Wellblechhäuser von infamer Hässlichkeit standen planlos umher, und wütende Winde pfiffen in schrillen Tönen. In Reykjavik angekommen, suchte Gretchen Morgenthau eine Gaststätte mit dem Namen Kaffibarinn auf. Hier sollte sie einen Fischer treffen, der Henrik oder so ähnlich hieß, der sie auf seiner Yacht mit nach Gwynfaer nehmen würde. Sie ließ ihre vier schwarzen Rimowa-Koffer aus der Salsa-Deluxe-Reihe mit einem Volumen von je 120 Litern von dem Taxifahrer hineintragen, beglich ihre Schuld und setzte sich an den freien Tisch rechts neben dem Eingang. Sie war überrascht, dass die Gaststätte schon auf hatte, merkte aber sogleich, dass sie nicht schon, sondern noch geöffnet war. Alkoholisch derangierte Restgestalten musterten mehr beiläufig als aufdringlich den Neuankömmling. Die Luft war ungesund. Es roch nach Schweiß, Bier und Menstruation, nach Daisy so fresh und Coco Mademoiselle, nach Leben, wie es seit jeher die Entäußerung sucht. Die Jungs trugen enge Jeans, Wollhemden und Vollbärte. Sie sahen aus wie sensible Holzfäller. So, als würden sie weinen, wenn der Baum, ihr Freund, fällt. Aber wahrscheinlich, dachte Gretchen Morgenthau, waren sie nur wieder Teil einer Jugendbewegung, die wie immer und völlig zu Recht für jede Dummheit zu haben war. Die jungen Frauen sahen interessant aus. Nicht die in den kurzen Röcken und billigen Nylonstrumpfhosen, die es in jeder Dorfschänke zu bewundern gab. Auch nicht diese Hipster-Gören, die sie aus Berlin, London und Barcelona kannte, in deren Köpfen nur noch Platz für Klamotten und Partys war, die nur noch in selbstreferenzieller Blasiertheit lustwandelten und dabei selbstverständlich eine große Leere verspürten. Nein, eine kleine Gruppe zwischen Säule und Tresen erregte Gretchen Morgenthaus Aufmerksamkeit. Anfang zwanzig waren sie, höchstens, und sie trugen irrwitzige Kombinationen schwerster Todsünden, die erst in zwei, drei Jahren modern sein würden. Sie gehörten zu diesen seltsamen Wesen, die nie hinterher-, sondern immer nur voranschritten, die nicht wirklich hübsch, sondern interessant aussahen, die eine aufreizende Scheu selbstsicher an den Tag legten und von den anderen Mädchen immer verachtet und vergöttert zugleich wurden. Und Gretchen Morgenthau konnte sehen, wie sehr dieses junge Gemüse nach Erlebnis und Bedeutung gierte, wie sehr es das Experiment suchte, um mehr zu spüren, mehr zu erleben, als es das Dasein für gewöhnlich erlaubte. Sie war selbst einmal so. Nur lauter.
Und sie
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