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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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Hascherl.«
    »Ich verrate Ihnen jetzt mal ein kleines Ge … Himmel, dieser Glenfiddich ist aber auch ein Lilalaunemacher, ich glaube, ich bin schon ein klein wenig beschwipst. So wie damals. Als mal wieder die Rezession kam. Als wir den Kummer mit billigem Sekt in weißen Plastikbechern ertranken. Weil so viele Kollegen gehen mussten. Wir Banker sind ja nicht sonderlich beliebt in der Bevölkerung. Dabei sind wir gar nicht alle so. Nein, wir sind nicht alle Abschaum. Ich spekuliere nicht, ich arbeite in einer kleinen Filiale in Barnsley, oben im Norden von Sheffield. Ich kümmere mich um Rentenangelegenheiten altgedienter Bergleute. Und trotzdem schert man uns alle über einen Kamm. Viele von uns haben deshalb auch schon mal geweint. Ich nicht. Obwohl ich ehrlich gesagt einmal kurz davor war. Ich bin Rationalist und Romantiker in einem, eine unglückliche Kombination. Ich liebe Zahlen. Zahlen sind schön. Und erotisch. Denken Sie nur mal an die Acht. Schließen Sie einfach mal die Augen und schauen Sie sich die Acht an. Benutzen Sie bitte die Helvetica. Ist sie nicht wunderschön? Eine Hommage an die Zweisamkeit, an das auf ewig Verbundene. Selbst das Nichts, die Null, ist hocherotisch. Finden Sie nicht auch? Meine Lieblingszahl aber ist die Zwei, der Schwan, ein Meisterwerk an Anmut und graziler Melancholie. Sie ist die Heilige, die Unberührbare, die im Nebel Schwimmende. Habe ich Ihnen eigentlich schon von meiner Zeit in der Diaspora in der Hutmanufaktur meiner Mutter erzählt? Wie ich damals ziellos nach Orientierung suchte, wie ich beinahe Hutmacher geworden wäre, wie mich die Mathematik im letzten Moment rettete?«
    Hatte er nicht. Konnte George Clooney auch nicht. Schließlich musste er noch sterben. Spontan.

13
    Kyell mochte die klirrendklare Luft am frühen Morgen, wenn der Atem kleine Nebelschwaden produzierte und eine schleierhafte Feuchtigkeit die ganze Insel bedeckte. Die Veranda war dann immer rutschig, insbesondere auf den kleinen Moosschichten, die sich allerorten aufs Neue bildeten. Wer darum nicht wusste, konnte sich leicht ein Bein brechen. Oder gar den Hals. Ruhig war es, ein paar Vögel, das Meer und im Wind krauschelnde Bäume waren zu hören, mehr nicht. Pelzige Wald- und Wiesenbewohner schlüpften aus ihren Nachtquartieren, streckten sich und gähnten den Schlaf hinfort. Nur wenige menschliche Einwohner taten es ihnen gleich und rieben sich die müden Augen. Kyell ging wieder zurück in den Schlafraum, öffnete den Kleiderschrank und zog den schwarzen Anzug heraus, den einzigen Anzug, den er besaß. Der Großvater hatte ihn zu Kyells 18. Geburtstag schneidern lassen. Ein Geschenk. Ein letztes. Damals musste er ewig stillstehen. Im Internationalen Salon der Konfektion. Vor Per, einer Legende der Schneiderkunst, der ihn zur Begrüßung finster musterte und sagte: »Ich lernte einst mein Handwerk auf einer rostigen Singer in einer Kellerwerkstatt in London, bei Abbott & Doyle, um genauer zu sein, in der altehrwürdigen Savile Row. Ich studierte an der Ecole de la Chambre Syndicale de la Couture Parisienne. Nun kleide ich Legastheniker.« Der Anzug saß perfekt, und da Kyell nicht mehr wuchs, würde er ihn, so es denn sein musste, auch die nächsten zehn Jahre noch tragen können. Ein einziges Mal war er bisher in den Genuss gekommen. Zum Abschlussfest. In der Internationalen Sophus Lie Schule. Kyell war nie ein besonders guter Schüler gewesen. Die Reifeprüfung bestand er mit Krach und sehr viel Ach, und vielleicht, so wurde gemunkelt, hatte die familiäre Intervention bei Rektor Urs ihr Übriges dazu beigetragen. In Gwynfaer wurde großer Wert auf eine umfassende Bildung gelegt, auf Naturwissenschaften und Philosophie, auf fremde Sprachen und ferne Kulturen. Nicht jeder schaffte gleich im ersten Versuch den Abschluss, manch einer brauchte gar ein halbes Dutzend Anläufe. Selbst Tule benötigte zwei, wenngleich er den ersten Misserfolg als reine Willkür bezeichnete, als strafrechtliche Maßreglung einer bornierten Obrigkeit, die keinerlei Gespür für die Freiheit der Kunst im religiösen Raum habe. Dabei hatten sie die Sekte sogar ordnungsgemäß angemeldet. Tule war der Guru, Kyell sein Stellvertreter. Als stellvertretender Guru oblag es Kyell, Sektenmitglieder zu werben und sie auf ihre vielfältigen Aufgaben vorzubereiten. Der Erfolg beruhte auf der simplen Maxime: Freie Liebe für alle. Die fünf Gebote lauteten: Der Guru hat immer recht. Außer Pan, der zufällig vorbeikam, konnte

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