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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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dieses schlimme Lied aus dem Radio. Und noch bevor er darüber nachdenken konnte, sagte er: »Here I am, rock you like a hurricane?«
    Es war hoffnungslos. »Wunderbar, dann beschrifte ein Blatt aus Pergament mit den Worten Here I am, rock you like a hurricane, lege es zusammen mit einer Orangenschale, einem Fuchsschwanz und einer gebrauchten Unterhose von dir in eine silberne Schatulle, vergrabe die Schatulle in ihrem Vorgarten, gerade so weit, dass sie darüber stolpern und ein Feuerwerk biblischen Ausmaßes entfachen wird. Zur gleichen Zeit stellst du dich im Adamskostüm auf einen Hügel deiner Wahl und sprichst im Angesicht des vollen Mondes die Zauberwörter deines Volkes aus, wie auch immer diese lauten mögen.«
    »Meinen Sie das ernst?«
    »Sie wird es lieben. Und wundere dich nicht, wenn sie auf der Stelle ein Kind von dir haben möchte.«
    »Okay«, sagte Kyell leicht verunsichert. Und dann fügte er noch mutig hinzu: »Vielleicht verstehen Sie uns nicht nur nicht, weil Sie eine Fremde sind, sondern auch, weil Sie einer anderen Generation angehören.«
    Gretchen Morgenthau stutzte. Sie zog die Augenbrauen nach oben, und das tat sie selten, denn das gab Falten. Hatte der persönliche Assistent gerade ihr Alter angesprochen? Konnte das sein? Tapfer, dachte sie, was für ein tapferer junger Mann.
    »Wieso? Für wie alt hältst du mich denn?«
    Alarm. Kyell wusste instinktiv, dass diese Frage keine simple war, kein Smalltalk, nicht ungefährlich, dass schmerzhafte Vergeltung die Folge sein konnte. Er war nicht gut darin, das Alter anderer zu schätzen, insbesondere nicht das Alter von Frauen. Und da er keine positiven Erfahrungen damit gemacht hatte, setzte er etwas jünger an: »Vielleicht 80?«
    Er merkte sofort, dass er sich wohl vertan hatte, er besaß mittlerweile ein Gespür dafür und so sagte er geistesgegenwärtig: »Verzeihung, das war unverschämt. 75?«
    Gretchen Morgenthau kniff die Augen noch enger zusammen. Sie sah darob nicht freundlicher aus. »50 wäre die richtige Antwort gewesen. 50. Ein Gentleman hätte noch angefügt: Höchstens.«
    Maßregelnd sah sie einen Zitronenfalter an, der ungeschickterweise ihren Weg kreuzte, kurz vor der Kollision aber abdrehte und mit einem gehörigen Schrecken davonkam. Ihr war der Appetit nach weiterer Konversation gründlich vergangen. Wenn die einfachsten Regeln der Kommunikation nicht eingehalten wurden, dann machte die Kommunikation keinen Spaß. Töten würde ihr jetzt Spaß machen, dachte sie, aber Töten war ja immer so kompliziert. Der persönliche Assistent zeigte sich neuerdings von seiner unaufgeräumten Seite, einer aufmüpfigen, gar lieblosen, ganz so, als glaubte er, es könne ihm nichts Fürchterliches widerfahren. Seine Unbekümmertheit war ihr ein Rätsel. Hatte sie ihm zu viel durchgehen lassen? Gestern, beim Abendmahl, es wurde ein Fenchel-Birnen-Salat mit gerösteten Karotten und gegrillten Langusten, dazu ein selbst gebackenes, mit Honig, Thymian und Meersalz benetztes Fladenbrot gereicht, da hatte er sie einfach so und völlig aus dem Nichts gefragt, ob sie denn nie Kinder haben wollte. Eine Indiskretion. Eine Unverschämtheit. Nein, hatte sie geantwortet. Und es auch so gemeint. Sie hatte doch immer ihre Schauspieler. Noch mehr Kinder waren gar nicht nötig. Und dann musste sie wieder daran denken, wie das war, mit ihren Kindern, dieses Großziehen und fallen lassen, dieses Kümmern, besonders um die ganz Kleinen, die ihre ersten Schritte wagten, unsicher stolperten und stolzierten und immer und immer wieder aufs Neue den ewig gleichen Weg gingen: Schmerz, Wut, Trotz, Reflexion und Auferstehung. Wer liegen blieb, durfte gehen. Und dann gab es jene, die sich nicht in der Nullgasse versteckten, sondern ihr mit breiter Brust entgegentraten, diese störrischen, ständig pubertierenden Wildlinge, die nach außen immer so selbstsicheren, polternden, das Leben aufsaugenden Psychopathen, mit ihrer niedlichen Egomanie, ihrer Eifersucht, ihrem Liebhab-Wahn, in ihrer nicht und niemals enden wollenden Tragödie des brutalen Daseins. Und natürlich, nicht zu vergessen, die Veteranen, mit denen sie ständig aneinandergeriet, die kleinen Hofnarren und großen Hausgötter, die letzten Endes doch immer nur kleine Jungs waren, ganz gleich, welchen Grad der Legende sie schon erreicht hatten, wenn es zum Spielen in den Sandkasten ging, dann waren Förmchen und Schippe in festen Händen, und dann wurde auch kein Spaß mehr verstanden.
    All diese Kinder

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