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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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teuerste. Gretchen Morgenthau zahlte für zwei Kilogramm vier Milliarden Euro. Da sie ihre Geldbörse vergessen hatte, riss sie ein Stück Zeitungspapier ab und schrieb mit einem dicken Filzstift Schuldschein über das Wort Feuilleton.
    Seit Charles Manson keine Heringe mehr vertrug, stand sie kurz vor dem Armenhaus. Er hatte ausgerechnet eine Vorliebe für Seeteufel entwickelt. Die Vorliebe ging so weit, dass er jeden anderen Fisch verweigerte und ohne Umwege in den Hungerstreik trat, wenn sie es mit Kabeljau oder einer ähnlichen Frechheit versuchte. Seeteufel oder gar nichts. Und bei gar nichts riss er vorwurfsvoll seine großen Comicaugen auf, als wollte er sagen: Es würde mich nicht wundern, wenn mein qualvoller Hungertod für große Unruhen in der Bevölkerung sorgen sollte.
    Sie hatte also keine andere Wahl, wollte sie nicht von einem durchgeknallten Mob gelyncht werden. Ihr persönlicher Assistent trug die Kiste mit der sündhaft teuren Nahrung heimwärts. Doch obwohl ihm diese Gunst zuteil wurde, zeigte er nur wenig Dankbarkeit, vielmehr versank er in Gedanken und stierte vor sich hin. Sie schwiegen sich fast drei Minuten lang an. Und die Zeit verging nicht wie im Flug, sie schien fast einzuschlafen. Dieser Junge war ein Weltmeister im Schweigen, dachte Gretchen Morgenthau. Sie war in dieser Disziplin nicht einmal Kreisklasse. Und das ärgerte sie. Und um den Soziopathen nicht einfach so davonkommen zu lassen, mit seiner folternden Stille und dieser selbstgerechten Art, gab sie zum wiederholten Mal den charmanten Eisbrecher, denn wenn ihr eine Gabe gewiss war, die ihr schon ins Kindbett gelegt wurde, dann war es ein hohes Maß an sozialer Kompetenz. Schließlich war sie Miss Einfühlungsvermögen 1951 in der katholischen Mädchenschule, damals, als sie ihrer Mitbewerberin Betty, die alle nur Little Miss Sunshine nannten, das Bein gebrochen hatte, aus Versehen, das konnte ja mal passieren, dass ein Medizinball zwei Etagen tief runterfiel, das war ja keine Absicht, und Gott war’s gedankt, dass nichts Schlimmeres passiert war. So ein Medizinball wog ja gut und gerne drei Kilogramm. Seit jenem Tag aber hatte sie es schwarz auf weiß, auf einer Urkunde stand es geschrieben, in großen Buchstaben, dass sie ein guter Mensch war, der sich um andere kümmerte, der ein Herz hatte, so groß wie ein Elefant, und so fragte sie also:
    »Du magst die kleine Bürgermeister-Tochter, nicht wahr?«
    Kyell wurde in Überschalltempo knallrot. Es war doch ein Geheimnis, nur Milla hatte er sich kryptisch offenbart, zaghaft, kaum wahrnehmbar. Wenn selbst die böse Frau es schon bemerkt hatte, wie offensichtlich musste es dann erst für alle anderen sein? War er ein dermaßen offenes Buch, konnten alle in ihm lesen?
    »Kann sein«, sagte er vorsichtig.
    »Wie weit bist du vorangeschritten?«
    »Vorangeschritten?«
    »Ja, aus der Ferne anschmachten, unbeobachtet Händchen halten, hemmungsloser Sex, in welchem Stadium befindet ihr euch?«
    »Ich habe ihr ein Gedicht geschrieben«, sagte Kyell und fühlte sich unwohl bei diesem Thema, »aber sie hat noch nicht geantwortet.«
    »Ein Gedicht?«
    »Ja.«
    »Um was geht es in dem Gedicht?«
    »Um Blumen. Sie mag Poesie.«
    »Ein Gedicht über Blumen ist nicht Poesie, es ist nur ein Gedicht über Blumen. Poesie ist, wenn Wörter wie Blumen klingen. Oder wie Regen. Oder wie Leere.«
    Kyell dachte darüber nach. Dann fragte er: »Und was würden Sie mir raten?«
    Gretchen Morgenthau schaute gänzlich irritiert ihren persönlichen Assistenten an. Wie kam er nur auf diese putzige Idee, sie sei eine Barmherzige aus dem Evangelium nach Lukas? Zurückgeblieben, träumend, kindlich. Sie war wohl kaum die ratschlagende Tante in Liebesangelegenheiten. Und schon gar nicht für die tollpatschige Dorfjugend. Da sie aber sonst nichts zu tun hatte, fragte sie: »Du hörst doch Musik, oder?«
    »Ja, manchmal.«
    »Welche Zeile eines Liedes fällt dir ein, wenn du an sie denkst?«
    Kyell überlegte.
    Lang.
    Länger.
    Er dachte an die Musik, die Tule ihm ständig vorspielte. Jede Woche kam er mit etwas Neuem an, das er entdeckte, in diesem unendlichen Netz. Mal waren es monotone Lärmkaskaden, mal sphärisch-elektronische Klänge, mal schrill quietschende Cellos. Am liebsten mochte er Männer an der Gitarre, die traurige Lieder sangen und wohl viel alleine waren. Aber ihm fiel einfach keine passende Textzeile ein.
    »Spontan, mein persönlicher Assistent, jetzt sofort.«
    Und dann erinnerte er sich an

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