Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Flecken?»
Nein. Nein, bitte nicht.
«Als − als ich’s hochgehoben hab, ich hab es doch hochgehoben von den Steinen, da hab ich’s am Kopf und am Hals gegriffen. Weiß nicht, ob ich es verletzt hab dabei.»
Die Susann spricht noch, da ist sie schon ganz woanders. Sie allein mit ihrem Kind, in der blutbesudelten Waschküche, im Halbdunkel. Und weiß, dass der Tag niemals kommen wird, an dem sie nicht mehr verfolgt wird von dieser mächtigen, erdrückenden Erinnerung. Wie es rausgerutscht kam mit einem Mal und auf dem Boden lag. Wie sie sich auf das Kind gestürzt hat sofort, furiengleich, nur ein Gedanke: Es darf nicht schreien. Und dann der zweite Gedanke: Bloß schnell vorbei damit. Nur schnell. Als wär es gar nicht wirklich, wenn es nur schnell geht. Vorbei mit dem kleinen Leben, bevor es angefangen hat, bevor es ein Leben war. Wie sie sich wie eine Irre draufgestürzt hat und ihm mit all ihrer Kraft die Luft abgedrückt hat mit den eigenen Händen, die rechte um seinen Hals, die linke über Mund und Nase, wie sie sich, die Augen geschlossen, festgekrallt hat und gedrückt und gepresst und noch gekratzt hat in dem kleinen Gesicht und dachte, je fester, je böser, desto schneller ist es vorüber, dass es nur gleich tot ist, dass sie nur den Übergang nicht spüren muss vom Leben zum Tod. War das denn wirklich sie, die Furie? Und wie es schließlich ganz still gewesen war unter ihren Händen und wie ihr eigener schwerer, heißer Atem dabei klang. Und dann das Allerschrecklichste.
Die Angeklagte ist reif, diagnostiziert trotz leichter Übelkeit der Ratsschreiberassistent Rost, der weder Arzt noch Jurist ist, aber sich auskennt mit Verhören und mit Menschen, überreif ist die, da muss man nur noch anstechen.
«Ei, Sie sieht doch selbst, dass da die Haut abgeschürft ist. Sie wird ja wohl gestehen müssen, dass es für so etwas Gewalt braucht. Also spuck Sie’s nur aus, dass Sie Gewalt gebraucht hat bei dem Kind.»
Sie kann nicht mehr lügen, sie kann nicht. Nicht vor ihrem Kind, das da zerstört vor ihr liegt. Herr Jesus, das arme, kleine Kind.
«Es stimmt, ich geb es zu, ich hab ihm Gewalt angetan.»
Die Inquisitin hält sich die Hand vors Gesicht und zittert. Jetzt schnell nachhaken, denkt der Rost.
«Und wie genau hat Sie das gemacht?»
Was sie daraufhin berichtet, das jagt einem das Gruseln ein vor der so unschuldig aussehenden, zarten Person.
Zu aller Überraschung schaltet sich nun auch der bleiche Claudy ein, der mit seinem Juristenverstand merkt, dass noch etwas fehlt für ein vollgültiges Geständnis nach der Peinlichen Halsgerichtsordnung Paragraph 131.
«Warum hat Sie denn das alles getan?»
«Ich wollt’s umbringen. O lieber Herr Jesus. Der Teufel hat mich getrieben, dass ich mein Kind umbringe.»
Aha, denkt der Rost, da hätten wir’s ausgesprochen, und konzediert dem Claudy einen Punkt.
Unterdessen beginnt der Dr. Pettmann, amtsärztlich penibel seine Liste weiter abzuarbeiten. Von der schließlich immer noch der größte Teil nicht abgehakt ist! − Es finde sich, erklärt er, aufs Papier blickend, bei dem Kind ein schwarzblauer Striemen am Hals. Woher dieser rühre?
Das verwirrt die Susann ebenso, wie es sie quält. Sie hat es doch eben schon gesagt, was sie getan hat.
«Das muss meine Hand gewesen sein. Wie ich es mit aller Gewalt gedrückt hab am Hals.»
Dr. Pettmann zieht die Brauen hoch. «Was für Kraft in Weiberhänden steckt», murmelt er launig in die Runde. (Der Herr Doktor ist dank einschlägiger Berufserfahrung eine von nur zwei Personen im Raum, denen die Szene nicht das geringste bisschen auf Magen und Seele schlägt. Die andere Person, versteht sich, ist der Scharfrichter Hoffmann, der alltags verwesende Tiere verarbeitet und Latrinen leert und unter dessen Aufsicht es heut Mittag wieder ausgebuddelt worden ist, das Kind.)
Nächster Punkt auf der Pettmannschen Liste: Verw. Rip. re.
«Ihr Kind hat unterm rechten Ärmchen an der Rippe eine Wunde. Woher stammt denn die?»
Unterm Arm? Die Susann hat nicht die geringste Ahnung. Sie kann nicht denken, sie kann gar nicht gut denken im Augenblick. Und hört sich doch sagen: Sie habe’s unterm Ärmchen gefasst, das Kind, als sie es in den Stall getragen hat. Um irgendetwas zu sagen, dass die Herren ablassen von ihr, dass es vorbei ist.
Doch die Herren haben noch lange, lange nicht genug. Ausführlichst verweilen sie bei der grauenhaften Tat: Der Pettmann mit seiner Liste, in der er amtsärztlich penibel
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