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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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Wie war noch gleich die förmliche Anrede für Ratsherren? «Ehrwürdige wohl- und hochedelgeborene Gestrenge und Herrlichkeiten, hochedle Fest- und Hochgelehrte.» Oder so ähnlich. Und dann das übliche Gefasel von «habe die Ehre» und «gehorsamst geziemendster Bitte», und am besten noch ein bisschen Latein: «pro benevole conferenda advocandi licentia» oder so. Der Vater wäre stolz auf ihn.
    Eben das war ein Grund für Wolfgangs beschwingte Stimmung während der ganzen Heimreise: dass der Vater jetzt stolz auf ihn sein müsse, weil er diesmal erhobenen Hauptes heimkehrte als cum applauso Examinierter und nicht als Gescheiterter wie nach dem Studienabbruch in Leipzig. Ein Fest, so nach Hause zu kommen. Diesmal würde nichts die Wiedersehensfreude trüben.
    Derart überbordende Laune hatte er, dass er in Höchst, dem Haltepunkt des Marktschiffs, am liebsten losgelaufen wäre, um wandernd übers sommerliche Galgenfeld seine Vaterstadt zu erreichen. Wegen des schweren Gepäcks allerdings verwarf er die Schnapsidee und fuhr wie üblich auf dem Main bis zum Fahrtor weiter, wo am Tag vor dem offiziellen Messbeginn ein unglaublicher Betrieb herrschte. Das war’s, sein gutes, altes Frankfurt! Er musste höllisch aufpassen, in dem Trubel am Kai nicht seinen Begleiter zu verlieren.
    Dass er den mitgenommen hatte, erwies sich mittlerweile ebenfalls als Schnapsidee. In Mainz hatte er ihn aufgelesen, diesen etwas zerlumpten Jungen von zwölf oder vierzehn, der sich harfespielend durchschlug und der ihm irgendwie gefiel. Zumal der zarte Junge von Wolfgangs studentischer Weltläufigkeit sehr beeindruckt war und ihn gar nicht genug erzählen hören konnte. Wolfgang seinerseits hatte es schon immer genossen, sich Jüngeren gegenüber als Förderer und großzügiger Lehrmeister zu betätigen. (Nur Cornelie wusste das nicht immer zu schätzen.) In seiner weltumarmenden derzeitigen Stimmung hatte Wolfgang dem kleinen Harfenspieler vorgeschlagen, nach Frankfurt mitzukommen, wo er während der bevorstehenden Messe viel, viel mehr verdienen könne als in Mainz, und natürlich könne er bei Goethes wohnen, und er, Wolfgang, werde ihn bei allen zahlreichen wohlbestallten Freunden der Familie als Musikanten empfehlen.
    Ein gewisses ungutes Gefühl verspürte Wolfgang nun doch seinetwegen, als es zu Fuß durch die Leonhardspforte auf das elterliche Haus im Hirschgraben zuging. Hauptsächlich deshalb, weil der Jüngling an seiner Seite überflüssig bis lästig sein würde bei der bevorstehenden familiären Begrüßungsszene.
    Sein Eintritt ins Elternhaus lief dann aber ohnehin etwas anders ab als erwartet. Erstens befand sich der Vater gar nicht im Haus (wie instinktlos von ihm, an einem Tag auszugehen, an dem mit Wolfgangs Ankunft zu rechnen war). Und zweitens gab es sofort Ärger, weil die Frau Mama nach der obligaten Vorstellung des Musikantenjungen ohne Umschweife befand, ihn, den Wolfgang, müsse der Hafer gestochen haben.
    «Ich bitt dich, Wolf! Was meinst du, was dein Vater davon hält, wenn einer, der als unser Hausgast geführt wird, in die Schenken zum Spielen geht! − Nichts für ungut, junger Herr, aber Er kennt meinen Mann nicht, der nimmt seines Hauses Ehre nicht auf die leichte Schulter.− Da werd ich mir also jetzt schnick-schnack was ausdenken müssen, dass der Vater am besten gar nichts mitbekommt von deinen irren Ideen. Himmelherrgottarschundzwirn, Wolf, kaum bist du da, bringst du mich ins Schwitzen!»
    In genau diesem Augenblick traf der Herr Rat Goethe auch schon ein – der übrigens sein Haus als Hort der Musen ansah und es daher Zu den drei Leiern getauft hatte, schüttelte seinem Sohn auf für seine Verhältnisse lebhafte Weise die Hand, senkte aber sogleich wieder bedenklich die Stimme, als sein Blick auf den schmutzigen Harfenjungen fiel, der samt seinem Instrument nur ein paar Schritte von Wolfgang entfernt mitten in der roten Stube stand und in ihm augenblicklich die übelsten väterlichen Ahnungen weckte.
    Zu Unrecht. Denn wie ihm seine Frau nun mitteilte, hatte der Junge mit Wolfgang gar nichts zu tun. Vielmehr hatte er bloß vorhin draußen auf der Straße so schön gespielt, und die Frau Rätin hatte ihm deshalb ein paar Kreuzer durchs Fenster zugeworfen und bei der Gelegenheit von ihm vernommen, er suche ein preiswertes Logis für die Messezeit, worauf ihr gleich eingefallen sei, dass irgendjemand von den Nachbarn − waren es die Metzlers? − in ihren Dienstbotenzimmern billige Betten an

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