Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Wesentlich von Unwesentlich nicht unterscheidet, weil doch alles geklärt werden muss, nicht wahr, was gefunden wurde bei der Sektion; der Rost mit seinem Instinkt fürs Weichkochen von Angeklagten sowie der Claudy, der sich nicht noch einmal vom Siegner vorführen lassen will. Endlos wird die Brandin gestichelt wegen einer bloßen, nichtssagenden Abschürfung am Oberschenkel, wobei die Verbrecherin sich am Ende verstrickt. Indem sie nämlich plötzlich (hört, hört) von Scheren, Messern oder spitzen Gegenständen redet, mit denen sie das Kind nicht verletzt habe – was ihr allerdings gar niemand vorgeworfen hatte. Das bringt die Herren natürlich auf einige Gedanken. Zumal es höchst unglaubhaft wirkt, wenn sie behauptet, die Wunde müsse entstanden sein, als sie das Kind in das leere Aschenfass habe legen wollen, von wo sie es aber bald wieder herausgeholt habe, weil zerbrochene Flaschen drin gelegen hätten. (Wie abstrus!) Und als man dann zu den üblen Traumata am Köpfchen des Kindes kommt, da fängt es dem Pettmann an, Spaß zu machen, sie zu piesacken, diese, wie man nun weiß, durch und durch böse Person, diese Teufelin in Menschengestalt. Und die Teufelin hat längst allen Boden unter den Füßen verloren, verstrickt sich weiter, indem sie jedes Mal, wenn er sie nach dem Köpfchen fragt, eine neue, eine zusätzliche Erklärung anbietet für die schweren Verletzungen am Kopf ihres armen Söhnchens: Zuerst will sie in der Dunkelheit mit dem Kind am Arm gegen die Stallwand gestoßen sein, dann soll es passiert sein, als das Kind bei der Geburt zu Boden fiel. Inständig schwört sie, das Köpfchen nicht absichtlich verletzt zu haben, dann fällt ihr plötzlich ein, dass ihr das tote Kind − grauenhafte Vorstellung − auf den Stufen zur Waschküche beim Raustragen «ausgeglitscht» sei, und zwei Schritte weiter im Hof will sie dann auch noch mit dem Kind in der Hand gestolpert und gefallen sein. Du lieber Gott.
Als man hier letztlich nicht weiterkommt, da fängt der Pettmann mit seinem letzten Punkt auf der Liste von Sektionsauffälligkeiten im Prinzip von vorne an: Warum denn die Luftröhre des Kindes an ihrem oberen Teil blutunterlaufen gewesen sei?
Sie wisse nicht anders, sagt schwach die Angeklagte, als dass dies von der Gewalt ihrer Finger und Nägel herrühren müsse. Worauf der Rost, weil’s so schön war, das Geständnis noch einmal hören will:
Ob sie nicht vielmehr gestehen müsse, dass sie durch das allzu harte Halten ihres Kindes an dem Hals dasselbige habe erdrosseln oder ersticken und somit ihm das Leben habe nehmen wollen?
Sie könne nicht leugnen, antwortet die Angeklagte brav, dass sie das Kind in der Absicht so hart angepackt habe, dass es nicht schreien, sondern ersticken sollte.
Und nun strebt der Claudy doch auf den Schluss hin. Ob sie sonst noch etwas auf dem Herzen habe, das sie mitteilen wolle?
Die Angeklagte verneint.
Wie sie denn aber nun, setzt der Claudy fort, eine solch üble Tat vor Gott und dem weltlichen Richter verantworten wolle?
Womit er gegenüber dem ersten Leser des Protokolls, nämlich dem Siegner, Strenge mimt und zugleich aus der Inquisitin ein paar Rechtfertigungsgründe herauskitzeln will. Nicht dass es helfen würde nach allem, was man nun gehört hat. Aber es würde ihn persönlich schon interessieren, ob irgendwas Spezielles vielleicht vorliegt in diesem Fall, irgendetwas, das ihn verstehen lassen könnte, wie eine so zarte Weibsperson dazu kommt, derart brutal gegen alles Weiche, Mütterliche ihres Geschlechts zu verstoßen.
Doch darüber klärt ihn die Susann jetzt nicht auf, die keine Kraft mehr hat und der jede Rechtfertigung fern ist angesichts ihres toten Kindes. Alles, was ihr noch bleibt, ist Gott um Vergebung und die weltlichen Richter um eine gnädige Strafe zu bitten.
DREI UHR NACHMITTAGS
ETWA EINE STUNDE früher war es auch für die Königin unerfreulich geworden.
Sie hatte am Morgen schon kaum gewusst, wie sie den Stockums gegenübertreten sollte, wo aber glücklicherweise ihre Klagen über den Schrecken und ihre Vapeurs mit mitfühlendem Interesse aufgenommen worden waren. Eine leibliche Schwester im Gefängnis! Das nahm einen schon genug mit. Und jetzt wurde auch noch sie selbst zum Verhör einbestellt. Die Schande. Hätte sie das geahnt, dann hätte sie gut überlegt, ob sie tatsächlich ihre Christenpflicht tun und die Susann anzeigen sollte.
Dann wurde es aber doch nicht so schlimm. Indem es ihr nämlich gelang, sich gleich am
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