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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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Anfang des Verhörs unter nervösem Schlucken weit zu distanzieren von der Person, die leider ihre Schwester sei, mit der auch deren Dienstherrin, die Bauerin, eine Last auszustehen gehabt habe wegen ihrer Frechheit. Sie aber, die Königin, habe sich immer wieder redlich bemüht und das Mensch bedrängt, sie möge es sagen, wenn sie schwanger sei. Und von den Ereignissen am ersten und zweiten August, von denen wusste die Königin gleich gar nichts, weil sie ja die ganze Zeit entweder unschuldig schlafend zu Hause oder bei der Frau von Stockum gewesen war (deren Namen sie sehr betonte). Viel eher als sie konnte ja ihre Schwester Hechtelin hier Auskunft geben!
    Die wurde am Folgetag ebenfalls einbestellt. Da sie sich aber während des Verhörs immer wieder übergeben musste, beschloss man zu vertagen.
    Für länger. Denn nun hatte man sich erst einmal jenen Geschäften zuzuwenden, die für einen Frankfurter Rat immer die allerwichtigsten sein mussten: Messgeschäfte.

14. AUGUST 1771
    WIE DIE SPEICHEN eines Rades liefen die Straßen des Reiches auf Frankfurt zu. Nur bei den Wasserstraßen stimmte das nicht ganz. Da lag Mainz natürlich eine Spur zentraler, aber man konnte ja von dort aus mit dem getreidelten Marktschiff leicht nach Frankfurt gelangen. Wie heute der frisch gebackene Lizenziat der Rechte Wolfgang Goethe, der mitten im Gedränge der Kaufleute auf dem offenen Deck saß (unten waren alle Plätze besetzt) und sich die fast schon heimatliche Luft um die Nase wehen ließ.
    Die Kaufleute auf dem Schiff waren nur das letzte Restchen einer seit Wochen durchs ganze Land gehenden Bewegung auf die Messstadt zu. Sogar aus dem nahen Mainz war das offizielle kurmainzische Mess- und Judengeleit schon vor Tagen abgegangen, und mindestens so früh diverse, von Soldaten eskortierte Kaufmannszüge aus Rhein- und Mainfranken, aus der Pfalz, Rheinhessen und der Wetterau, die alle längst an den üblichen Treffpunkten von der Frankfurter Bürgerlichen Kavallerie empfangen worden waren. Von der Stadtgrenze an übernahmen nämlich der Sitte gemäß die Frankfurter selbst das Geleit. Da aber die Herren von der Frankfurter Bürgerlichen Kavallerie meist schon vor dem alkoholreichen Empfangsschmaus mangels Übung nicht sicher auf ihren Pferden saßen, musste man froh sein, dass Überfälle eigentlich kaum noch vorkamen und also das militärische Geleit der Messereisenden heute mehr Tradition war denn Notwendigkeit.
    Der junge Herr Goethe auf dem Mainzer Marktschiff war in beschwingter, euphorisierter Stimmung wie schon lange nicht mehr. Sobald am vorletzten Dienstag das Examen und die Feier danach glücklich überstanden waren, hatte er es kaum mehr ausgehalten in Straßburg: Schon längst hatte er sich ja innerlich verabschiedet und zählte eigentlich nur noch die Stunden bis zur Abfahrt seines Rheinschiffes am Freitag. Den obligaten Abschiedsbesuch in Sesenheim bei Friederike hatte er allerdings noch hinter sich bringen müssen, leider, da ihn im Sesenheimer Pfarrhaus statt heimlicher, heißer Küsse bei der Rosenlaube (auf die er insgeheim noch gehofft hatte, als Abschiedsgeschenk sozusagen) − viele äußerst unangenehme Momente erwarteten. Friederikes Eltern hatten während der anderthalb Anstandstage, die er blieb, keine, aber wirklich keine Gelegenheit gescheut, ihn den «Verlobten» ihrer Tochter zu nennen und von den nicht fernen Zeiten zu fabulieren, da sie ihm zwecks Verehelichung nach Frankfurt nachfolgen würde. Sie waren im Geiste geradezu schon dabei, im Goetheschen Elternhaus das Brautzimmer für die künftige Frau Anwältin Friederica Goethe einzurichten. Es war ihnen offenbar entgangen, dass ihr Landkind schon nach Straßburg nicht passte, geschweige denn nach Frankfurt.
    Wolfgang nahm das Gerede hin. Was nützte es, jetzt noch eine Szene zu provozieren, da er doch so oder so fortfuhr und sich dann alles von selbst lösen würde. Als die süße Friederike am Ende todtraurig an seinem Pferd stand und ihm die Hand zum Abschied reichte, glaubte er aus ihrem Gesicht zu erkennen, dass sie wusste: Sie würde ihn nicht wiedersehn.
    Abends in seinem Logis – gepackt war längst – brachte er nach längerem Däumchendrehen die Zeit herum, indem er erst einen Brief an seinen Freund Langer schrieb des Inhalts, er sei verdammt froh, morgen endlich von hier wegzukönnen, und dann tatsächlich schon mal entwurfshalber das Gesuch aufsetzte, mit dem er daheim beim Schöffengericht seine Zulassung als Anwalt beantragen würde.

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