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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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gemusst. Er räuspert sich neuerlich. Kommt er doch jetzt zu einem ganz unangenehmen Thema.
    «Wo hat Sie denn das Kind hingebracht aus der Bauerischen Waschküche?»
    Herr Jesus, bitte nicht. Doch es ist sicher gefunden worden, das Kind. Sie muss, sie muss.
    Sie hat es aufgehoben, das Kind, sagt sie, in der Dunkelheit der Waschküche, sie habe es hochgenommen und habe ein ganz schwaches Röcheln nur gehört, es sei ihr so gut wie tot vorgekommen. Dann habe sie es in den Stall getragen und mit etwas Stroh zugedeckt.
    Und dann sprudelt der ganze Rest der Geschichte hervor, wie sie sich versteckt hat auf der Hinterstiege, wie später der Bonum sie über die Wohnstube in die Küche gelassen hat, damit sie nicht durch die Bierstub musste in ihrem blutigen Schurz, wie sie am Ende bei der Ursel übernachtet hat und am nächsten Morgen aus Angst vor Entdeckung der Geburt nach Mainz sei.
    Der Claudy allerdings, der will noch mehr wissen über das, was in der Waschküche passiert ist an dem Abend.
    Wer denn die Nabelschnur abgelöst und die Nachgeburt geholt habe?
    Die Nabelschnur. Die Schere, von der niemand wissen soll. Die sie eigens mitgenommen hat, um die Nabelschnur abzuschneiden. Und wieso muss die Nachgeburt jemand holen, die kam doch von selbst?
    «Es war so finster in der Waschküche, ich hab nicht richtig sehen können, was da von mir ging. Es ist alles gleich von mir gefallen, und ich hab’s liegen lassen, wo es lag. Ich kenn mich doch nicht aus mit solchen Dingen, ich hatte ja noch kein Kind, ich wusste gar nicht, was das ist.»
    Unglaubwürdig, befindet innerlich der Claudy. Da nämlich in der Waschküche keine Nachgeburt gefunden wurde. Und eine Nachgeburt hat keine Beine, dass sie von selbst verschwinden könnte. Diese sinnlose Lüge von dem Mädchen versteht er nicht. Wenn sie zugibt, das Kind versteckt zu haben, dann wird sie doch wohl auch sagen können, dass sie die Nachgeburt beiseitegeschafft hat.− Oder hatte sie doch eine Komplizin?
    Er seufzt. Er ist sauer, dass das Mädchen ihn so offentlichtlich belogen hat. Versteh einer den Pöbel. Kein armes Ding ist die Angeklagte womöglich, sondern eine eingefleischte, eiskalte Lügnerin.
    «Hätte Sie nicht aus dem Beischlaf und der ausgebliebenen Reinigung sehr wohl erkennen müssen, dass Sie sich schwanger befindet?»
    «Ich hab es aber nicht erkannt. Weil ich doch die Reinigung noch einmal gekriegt hatte. Wenn ich’s geahnt hätte, ich wär längst zu einer Schwester gegangen zum Entbinden.»
    «So. Hat Sie denn sonst noch etwas vorzubringen?»
    Nein. Sie wünsche sich nur, sie hätte an dem Tag die Asche stehen lassen, dann wäre sie nicht zu dieser entlegenen Waschküche gekommen, und das Unglück wäre nicht geschehen.
    Wie sehr sich die Susann tatsächlich wünscht, dass das Unglück nicht geschehen wäre, das ahnt der Ratsschreiber Claudy trotz all seiner Fähigkeit zur Einfühlung nicht. Zumal er schon wieder meistenteils mit sich selbst beschäftigt ist und mit einem gewissen Unwohlsein in den Eingeweiden, das sich weniger aus den Hospitalgerüchen als von der Tatsache speist, dass er nun zurück muss zum Siegner, ohne ein Geständnis.
    Aber wenn doch die Angeklagte nicht gestehen will!

MONTAG, 5. AUGUST 1771, ZEHN UHR MORGENS
    JA ALSO! Was hatte ihm der Claudy da auch einen Mist geliefert!
    Weshalb (befand Dr.   Siegner) dieser Schlappschwanz es redlich verdiente, dass er sein schmähliches Verhörprotokoll nunmehr mit dünner Stimme selbst verlesen musste im Schöffenrat. Gleich nach dem gruseligen Sektionsbericht. Da erübrigte sich jeder Kommentar. Da musste man nicht einmal wissen, was Siegner wusste, da Rost es ihm und dem Lindheimer gesteckt hatte: Nämlich dass der Ton bei dem Verhör im Spital so was von lasch, ja geradezu sanft gewesen war.
    So. Jetzt aber zackig, jetzt würde der Dr.   Siegner Nägel mit Köpfen machen hier im Schöffenrat! Also bittschön! Nicht dass es hinterher hieß, er habe sich von einer Dienstmagd an der Nase herumführen lassen. Gerissen hatte er sich wahrlich nicht um diese leidige Kindsmordssache, aber wo er sie nun schon am Hals hat, da wird er die Inquisition straffstens durchexerzieren.
    Und die Peinliche Halsgerichtsordnung verlangt nun mal ein Geständnis. Ohne Geständnis keine Verurteilung. Woran Dr.   Siegner die Herren Schöffen jetzt trocken erinnert und dann − außerhalb des Protokolls als private Meinung − erklärt, der sicherste Weg, ein Geständnis überhaupt noch zu erlangen bei dieser

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