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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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wünschte sich, er hätte den Mund gehalten. Denn wahrscheinlich hatte der Siegner recht.
    Und nun ist die Inquisitin also endlich selbst da. Mit großen, leeren Augen, weich gekocht im eigenen Saft während der zwei vollen Monate, die seit ihrem fürchterlichen Geständnis vergangen sind, und der Siegner weiß, als er sie sieht: Die wird heut mit nichts mehr zurückhalten.
    Die Susann hört fast augenblicklich auf zu zittern, nachdem sie die Verhörstube betreten hat. Keine schreckliche Überraschung wartet diesmal ja auf sie, Gott sei Dank. Nur drei Herren (der Claudy fehlt heute, Rost vertritt ihn), von denen einer (nämlich Siegner) trotz goldener Kette und Schnallen eine behäbige, alltägliche Gutherzigkeit ausstrahlt.
    Siegner weiß, wie er wirkt. Er gibt sich daher väterlich, schiebt der Inquisitin − Bürgermeisterehre hin oder her − den Stuhl hin, legt ihr einen Augenblick die Hand auf die schmale Schulter und erklärt ihr, es sei gut für ihre arme Seele, wenn sie nun alles offenbare.
    Er hätte sich die Überredungskünste sparen können.
    Denn die Susann weiß zwar nicht viel vom Rechtswesen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Sie hat nicht die Peinliche Halsgerichtsordnung studiert und die Kommentare dazu. Aber so viel weiß sie, dass sie mit dem Geständnis, ihr Kind umgebracht zu haben, sich der Todesstrafe anheimgestellt hat. Dass sie sich also längst auf Gedeih und Verderb ausgeliefert hat den Herren von der Frankfurter Justiz und dass ihr Leben an nichts hängt, an gar nichts, als an deren Härte oder Gnade. Und um gnadenwürdig zu werden vor Gott und vor den Menschen als auch vor sich selbst, da scheint ihr dieser Weg der einzige, den sie noch gehen kann: sich ganz zu offenbaren.
    Und dabei denkt sie vor allem an das Schrecklichste. An das, was sie wieder und wieder in Albträumen erleben muss nachts.
    Merkwürdig aufrecht sitzt sie auf ihrem Stuhl, denkt der Siegner, und mit einem solchen ruhigen Ernst. Er glaubt, eine unerwartete innere Stärke zu spüren in dem großen, geraden Mädchen.
    Während der Jüngere Herr Bürgermeister schweigt und sich abwesend mit dem Zeigefinger unter der Perücke kratzt, beginnt der Herr Examinator ordinarius Lindheimer geschäftig mit dem Verhör.
    Von wem sie geschwängert worden sei, und wann?
    Von einem holländischen Kaufmannsdiener, sagt sie, dessen Namen sie nicht wisse, drei bis vier Wochen vor Weihnachten.
    Die Herren sehen sich an.
    Ob sie denn freiwillig in den Beischlaf eingewilligt habe? Und ob ihr der Kaufmannsdiener nicht irgendetwas versprochen oder gegeben habe, dafür, dass sie mit ihm Unzucht treibe?
    Worauf will denn das hinaus, fragt sich befangen die Susann. Gibt es denn nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie beschuldigt den Jan der Notzucht oder sie ist eine, die es für Geld und Geschenke tut? Lieber Herr Jesus, die Perlen. Und der Examinator sieht nicht so aus, als ob er das verstehen könnte, wie das kam mit den Perlen.
    Er hat ihr nichts versprochen oder gegeben, sagt sie und schämt sich zu Tode, bis auf Wein, mehrere Gläser Wein hat er ihr zu trinken gegeben, und sie sei von dem Wein derart in Hitze gekommen, sie ist gar nicht mehr sie selbst gewesen, als ob etwas drin gewesen wäre im Wein, und sie hat dann alles mit sich machen lassen.
    Wo der Beischlaf denn stattgefunden habe?
    Die Susann schluckt. In dem Zimmer, sagt sie, in dem der Fremde logiert hat.
    Wie oft dergleichen eigentlich vorgekommen sei während der Anwesenheit des Holländers im Bauerischen Haus?
    Nur das eine Mal, antwortet sie, und sie habe auch sonst mit Mannspersonen nie etwas zu tun gehabt.
    Die Herren sehen sich wiederum an.
    «Es ist nicht glaubhaft», bemerkt kalt der Lindheimer, «dass Sie durch den einen Beischlaf schwanger geworden sein soll. Und dass der dann auch noch der erste und einzige Ihres Lebens war.»
    «Hab Sie nur keine Angst», sagt der Siegner, «es ist doch allemal besser für Sie, wenn Sie auch in dieser Sache nun die Wahrheit gesteht.»
    Mit glühendem Gesicht gibt die Susann den Herren zu verstehen, dass sie bei der einen Gelegenheit gleich dreimal mit dem Holländer geschlafen hat. Und erzählt gleich weiter: das, was sie bis heute nicht verstehen kann. Dass sie nämlich am Tag darauf wie gerufen ihre Ordinaire bekommen hat. Aber das interessiert natürlich die Herren nicht, wie sie so grausam betrogen war in falscher Sicherheit, am Anfang, als vielleicht noch was zu machen gewesen wäre.
    Die Herren interessiert aber

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