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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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Termin wurde folglich angesetzt für ein weiteres Verhör, eines, bei dem die Untersuchungsbeamten der Inquisitin so feindselig gesonnen waren wie bei keiner früheren Sitzung.
    Unterdessen stellte die unselige Angeklagte die Stadt Frankfurt auch noch vor ein schweres religionsrechtliches Problem. (Wahrhaftig, der Siegner hatte es gewusst, ganz am Anfang schon, dass er nur Scherereien haben würde mit einem Kindsmordfall.)
    Die Susann hatte nämlich beim Pfarrer Willemer darum gebeten, das Heilige Abendmahl zu erhalten. Ebenso hatte sie bei einem weiteren, allein auf ihre Bitte stattfindenden Besuch ihres Verteidigers an diesen nur das eine Anliegen gehabt: ihren sehnlichen und dringlichen Wunsch nach dem Heiligen Abendmahl an die zuständigen Stellen weiterzuleiten.
    Allerdings verhielt es sich ja leider so, dass die Angeklagte reformierter Religion war (der Pfarrer Willemer als Pfarrer der Hospitalkirche natürlich nicht). Und das Abhalten von reformierten Abendmahlen war bekanntlich innerhalb der Stadtmauern verboten. Deshalb eben mussten sie ja immer raus nach Bockenheim zu ihrer dortigen Kirche, die Reformierten!
    Der Pfarrer Willemer hatte dies Problem erkannt und die Angeklagte gleich gefragt, ob sie denn notfalls auch mit einem evangelisch-lutherischen Abendmahl zufrieden wäre?
    Ja, das wäre sie zur Not, hatte die Angeklagte geantwortet. Zumal sie fürchte, dass ihr die reformierten Pfarrer das Abendmahl gar nicht würden reichen wollen.
    «Aber Kindchen, wieso das?», wunderte sich der Pfarrer Willemer, «die werden sich doch gewiss einer armen Sünderin erbarmen. Oder hat Sie etwa einen Händel gehabt mit Ihrem Pfarrer in Bockenheim?»
    «Nein, das nicht. Es ist nur – ich hab doch noch keine Kirchenbuße getan.»
    Ah, jetzt wusste der Pfarrer Willemer, was sie meinte. Für Sittlichkeitsverbrechen war ja auf den Dörfern noch die Kirche zuständig und nicht das Amt. Und da die Susann erwiesenermaßen sündigen Beischlaf gehabt hatte, müsste sie natürlich in Bockenheim vor der Gemeinde Kirchenbuße leisten, bevor sie wieder zum Abendmahl zugelassen werden konnte.
    Mit der Kirchenbuße werde es ja höchstwahrscheinlich nichts mehr geben in ihrem Leben, sagt sie mit brüchiger Stimme. Denn freikommen, dass sie in die Kirche gehen könnte zur Buße, das würde sie sicher nicht mehr.
    Der Pfarrer Willemer schluckt daraufhin und verspricht ihr fest, dass ein städtischer lutherischer Geistlicher, etwa er selbst, das Abendmahl übernehmen werde.
     
    Nur war das natürlich etwas voreilig.
    Aber also, befand man nämlich im Rat und bei den Syndikern, das hätte der Pfarrer Willemer doch wissen müssen, dass das alles so einfach nicht war! Man könne doch nicht einer Person den Leib Christi zu essen geben, die als Reformierte den erhabenen lutherischen Begriff davon nicht hat und daher Körper und Blut des Heilands calvinistisch als bloßes Brot und bloßen Wein genießen würde! Also bitte! Welch ein Frevel!
    Nun machte der Pfarrer Willemer aber dem Rat ernstliche Vorstellungen, dass die Angeklagte von ihrer Seele her eines Abendmahls (welcher Konfession auch immer) würdig sei und man sie ohne diesen Trost aus dem irdischen Leben nicht entlassen dürfe. Sodass man schließlich im Rat übereinkam, ausnahmsweise − und ohne dass dies als Präzedenzfall gelten dürfe − einen reformierten Geistlichen mit der Angeklagten innerhalb der Stadtmauern das reformierte Abendmahl feiern zu lassen.
    Vorbehaltlich der Zustimmung des lutherischen städtischen Konsistoriums freilich. Und vorbehaltlich der Zustimmung des reformierten Kirchenvorstands, da ja die Angeklagte bekanntlich noch keine Kirchenbuße geleistet hatte.

9. NOVEMBER 1771
    WOLFGANG GING es schon wieder besser. Viel, viel besser.
    Aber der Brief von Friederike war wirklich übel gewesen.
    Sie habe es zuerst nicht glauben können, schrieb sie. Tagelang habe sie sich eher für wahnsinnig halten wollen, als anzunehmen, dass es wahr sei, was sie hier las: dass es zu Ende sei mit ihnen beiden. Einfach so. Ohne einen Grund, ohne dass er eine neue Liebe hätte, ohne dass das Geringste vorgefallen wäre, und Wochen nur, nachdem er in der Wohnstube ihrer Eltern noch lang und breit beschrieben hatte, wie er sich mit ihr einrichten wolle in einer eigenen Etage im Haus Zu den drei Leiern in Frankfurt. Als sie endlich ihren Augen zu trauen anfing beim zwanzigsten Lesen, da habe sie sich eingeredet, dass es ihm nur um Rücksichtnahme ihr gegenüber gehe, dass er ihr

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