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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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geradezu heraus aus ihm und aufs Papier, so als sei das seine Bestimmung.
    An den Faust hatte er sich natürlich vorläufig nicht gewagt. Es war ihm ja leider noch immer nichts eingefallen für die fehlende dramatische Handlung im Mittelteil. Kein wirklich bewegender Stoff, mit dem er die Episödchen aus dem Volksstück ersetzen könnte. Diffizil, der Faust, da steckte er fest. Und er brauchte jetzt wahrlich keine hohe Hürde, sondern ein schnelles Erfolgserlebnis. Ebenfalls ruhen und reifen ließ er also erst einmal seine neueste geniale Idee für ein aufsehenerregendes Drama: «Die Kindermöderin» oder so ähnlich, inspiriert durch den jetzigen Fall. Er wusste schon, wie er die Heldin nennen würde: Nicht den Rufnamen der Brandin würde er verwenden (was ohnehin nicht angemessen war), sondern ihren zweiten Vornamen: Margarethe, kurz Gretchen, würde seine Heldin heißen, und zwar in Erinnerung an eine kleine Putzmacherin dieses Namens, in die er mit vierzehn Jahren mal verschossen gewesen war, aber deren Umgang die Eltern ihm verboten hatten. Das passte doch ausgezeichnet. Im Moment allerdings, da Friederikes Brief noch in ihm arbeitete, da war ihm dies Thema für seine Seelenruhe zu heikel. Zumal es vernünftigerweise den Ausgang der realen Frankfurter Kindsmordtragödie erst einmal abzuwarten galt, ehe er sich hier tatsächlich ans Schreiben begab.
    Nein, woran er jetzt mit Hochdruck arbeitete, was ihn Tag und Nacht gefangen und von unguten Gedanken abgelenkt hielt, das war etwas Überschaubares, das nirgends an empfindlichen Saiten seiner Seele rührte und zugleich von allen seinen bisherigen Ideen am leichtesten als deutscher, vaterländischer Shakespeare würde durchgehen können: ein Ausschnitt aus der Lebensgeschichte des Reichsritters Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand aus dem sechzehnten Jahrhundert. Da nützte ihm wenigstens einmal seine Juristerei was. Ohne Kenntnisse der Rechtsgeschichte wäre er nämlich jetzt aufgeschmissen bei seinen Recherchen über den Berlichingen, der wahrhaftig in genügend Fehden und schwere Rechtshändel verwickelt gewesen war.
    Heut früh allerdings war eine Pause vom Schreiben dran. Indem es jetzt gleich Gelegenheit gab, die reale Kindermörderin einmal in persona zu sehen bei ihrem Weg zum Peinlichen Verhöramt, wo sie, hat ihm gestern der Schreiber Liepholt gesteckt, Schlag neun Uhr erwartet wurde. Das Schwesterchen, sonst immer bereit zu Spaziergängen, zierte sich allerdings. Sie wisse nicht recht, meinte Cornelie, sie finde das unwürdig, die Person zu begaffen vom Straßenrand, außerdem habe sie eigentlich wieder Kopfweh.
    Am Ende kam sie doch mit. Nun aber waren sie fast zu spät; sie trafen nämlich unglücklicherweise auf dem Weg noch den Peter Brentano und mussten höflichkeitshalber ein paar Sätze mit ihm schwätzen, halb Deutsch, halb Französisch, halb Italienisch.
    «Steife Krämerseele», murmelte Wolfgang, als sie endlich weiter konnten, «stinkt nach Öl und diesem harten italienischen Käse, den er lagert.» Was Cornelie durchaus auch so sah. Aber der Mann hatte eben dafür andere Qualitäten, Geld zum Beispiel und gutes Aussehen. Sie hätte es bei weitem vorgezogen, wenn der Peter als Witwer auf Freiersfüßen wenigstens ein klein bisschen Interesse an ihr gezeigt hätte. Der Form halber wenigstens. Aber der Form halber den Fräuleins schöne Augen machen, das entsprach durchaus nicht dem Naturell des Herrn Brentano, da mochte er noch so sehr Italiener sein. Neapolitaner war er schließlich nicht, gelle, und dort oben am Lago Maggiore, wo er herkam, da ging es gesittet zu und rechtschaffen und fromm. Da war es so kühl, dass nicht einmal Zitronen richtig reif wurden.
    Die Geschwister Goethe erhaschten den erhofften Blick auf die Kindermörderin zum Glück doch noch. Gerade erst war der Zug von Soldaten vorbei, als man auf die Neue Kräme bog, sodass man direkt dahinter zu gehen kam und überholen und von der Seite und von vorn linsen konnte und dann voreilen und am Römer auf das Geleit warten. Cornelie scheute sich, direkt hinzusehen, versteckte sich geradezu. Wolfgang bekam davon nichts mit, so konzentriert war er.
    Zuerst war er enttäuscht: nichts Süßes, Kleines, Schmolliges wie sein Gretchen damals also war die berühmte Person, sondern groß, gerade und mit klaren Linien im Gesicht. Und das Gesicht, das sagte alles. Er hatte mit einer eiskalten Fassade für die Gaffer gerechnet, aber die Gaffer, die sieht sie gar nicht mehr. Die sieht

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