Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
entehrende und quälend grausame Weise noch dazu, und dabei gelitten hat wie jeder Mensch leidet in so einer Lage und sogar seinen Vater, den Herrgott, noch gebeten hat im letzten Moment, er möchte den Kelch an ihm vorübergehen lassen, wenn es möglich sei. Wie aber der Herr Jesus sich dann dem Tod und seiner Notwendigkeit auch hingegeben habe mit den Worten: Nicht wie ich will, sondern wie Du willst. Es geschehe Dein Wille.
Nach einer Zeit solcher Reden erblickt die Susann an der Tür jemanden, den sie lange nicht gesehen hat: den Claudy vom Verhöramt. Der bittet alle außer dem Pfarrer Willemer, den Raum zu verlassen, da er mit der Delinquentin im Privaten sprechen wolle.
Was ist das? Was kann das werden? Hat etwa doch der Rat –? Aber der Claudy steht, als man nach vielem Trampeln und Stühlerücken endlich zu dritt ist, nur unschlüssig herum und sieht aus dem Fenster, während der Pfarrer Willemer, der jetzt erleichtert den bequemen Stuhl der Frau Weines nimmt und nach Susanns Hand greift, ganz ruhig weiter mit ihr redet. Sie müsse sich also wie jeder Mensch dreinfinden, sagt er, in das, was Gottes Wille mit ihr sei. Es sei schwer, aber möglich. Und da müsse man natürlich überlegen, was denn der liebe Gott am wahrscheinlichsten mit ihr vorhabe. Wie er ihr vielleicht sogar helfen könne, ihre Sünden vollständig abzuwaschen. Ob es denn tatsächlich wahr sei, was sie ihm mehrfach schon gestanden habe, dass sie eigenhändig ihr Kindlein misshandelt und ermordet habe?
Ja, sagt die Susann und seufzt, ihr ist so eng in der Brust.
In der Zimmerecke räuspert sich der Claudy. «Ob ich den Herrn Pfarrer ersuchen könnte, einen Augenblick innezuhalten mit seinen Reden? − Es ist nämlich so, äh, Jungfer Brandin. Ihr habt ja gestern im Verhöramt bei der Urteilsverkündigung um Gnade angesucht. Das Protokoll darüber ist heute vor dem außerordentlich versammelten hochedlen Rat verlesen worden, aber auch zugleich wegen der Euch allzu wohl bekannten rechtlichen Ursachen abschlägig beschieden. Und es wurde also nun beschlossen, dass es leider nun bei dem Euch schon bekannten Urteil sein Bewenden haben muss.»
Sie fühlt sich, als ob sie fällt. Als ob die Verzweiflung sie gleich nach unten in die Hölle reißt. Dabei hat sie nicht erwartet, dass sie überhaupt noch etwas spüren würde auf diese Nachricht. Gewissheit aber ist wohl immer etwas anderes als Ahnung. Schnell fasst sie sich wieder, zur unendlichen Erleichterung vom Claudy, der, so blass, wie sie geworden war, schon das Schlimmste befürchtete.
Sie sitzt sehr gerade, sieht ihm in die Augen und sagt, dass sie ihr junges Leben beklage. Ob sie letzte Wünsche äußern dürfe?
Aber ja, das dürfe sie, sagt der Claudy.
Die Susann hat sich vergangene Nacht nämlich schon überlegt, was sie sich wünschen würde.
«Ein weißes Gewand würd ich gern anhaben, wenn ich sterbe.»
«Das bekommt Ihr», sagt der Claudy (und gerät im Geiste in Hektik, weil man sich da aber wirklich beeilen muss mit Nähen, denn viel Zeit bleibt ja nicht mehr bis zur Hinrichtung. Den Termin, den wird er ihr gleich noch sagen müssen. Himmel.).
«Und dann würd ich bitten, dass meine Sachen und Kleider verkauft werden, und der Erlös soll an die armen verwaisten Schuhmacher Wetzelischen Kinder gehen. Weil ich dem Schuhmacher Wetzel drei Gulden für Schuhe schuldig geblieben bin.»
«Natürlich. Darum werde ich mich persönlich kümmern.» Der Claudy notiert den Auftrag in ein paar Stichworten, und als er fertig ist, da nennt die Susann ihren dritten und letzten Wunsch: das Heilige Abendmahl vor ihrem Tod noch einmal zu empfangen.
Da unterbricht sie sanft der Pfarrer Willemer. «Aber Kindchen, das ist doch gar nicht nötig. Ihr letztes Abendmahl ist noch gar nicht lange her, und es ist gar nicht üblich, dass man es so oft wiederholt. Wenn’s ans Sterben geht, zählt einzig der Glaube an den Herrn Jesus Christus und an sein Verdienst. Das ist das Allerwichtigste und das Allerbeste.»
Die Susann lässt sich also bereden, auf das nochmalige Abendmahl zu verzichten. Unterdessen verschwindet sehr erleichtert und mit vielen geschäftigen Pflichten im Kopf der Claudy aus der Stube.
Da hat er ihr das Wichtigste noch gar nicht gesagt.
Also fragt sie den Pfarrer Willemer. Sie ist sich sicher, dass er es weiß.
«Wann?», fragt sie.
«Ach, Kindchen. Am Dienstag. Dienstagvormittag.»
SONNTAG, 12. JANUAR, DREI UHR NACHMITTAGS
IM HAUS Zu den drei Leiern saß man gemütlich um
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