Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
jungen Pfarrer Zeitmann. Der pfuscht dem Pfarrer Willemer zu dessen Erleichterung nicht dazwischen, sondern betreut die Verurteilte ganz in seinem Sinne, indem er ihr Liebe und Trost spendet. Damit sie zum Schlafen kommen, werden nachts beide Herren durch mehrere Prediger-Kandidaten unterstützt – von denen sich einige allerdings hauptsächlich dafür interessieren, was sie hinterher zu erzählen haben werden über die berühmte Kindermörderin. Andere immerhin bemühen sich.
Leider wird die Susann am Montagnachmittag noch einmal herausgerissen aus ihrer qualvoll erlangten Beinahe-Seelenruhe – paradoxerweise, weil der Claudy ihr was besonders Gutes hatte tun wollen. Und zwar hatte er am Morgen einen der eher zweifelhaften Prediger-Kandidaten zu ihr geschickt mit der Frage, ob sie sich tatsächlich sicher sei, das Heilige Abendmahl nicht noch einmal erhalten zu wollen?
Der Susann vermittelte sich, so ruppig, wie der Kandidat die Frage vorbrachte, der Eindruck, man halte es nun also doch geistlicherseits für angebracht, ihr das Heilige Abendmahl ein zweites Mal zu verabreichen.
Womit sie sich natürlich einverstanden erklärte.
Die Herren Zeitmann und Willemer, als sie am Nachmittag davon hörten, fanden das eine ärgerliche Einmischung in ihre Befugnisse. Gerade hatten sie aus der Susann herausgebracht, dass die, wenn’s nach ihr gegangen wäre, auch ohne nochmaliges Abendmahl zufrieden wäre und nur das Drängen des Kandidaten sie auf diese Idee gebracht habe – da betrat völlig unangemeldet der reformierte Herr Pfarrer Krafft aus Bockenheim die lutherische Stube des Richters Weines und gab an, vom Stadtschreiber Claudy hochnoteilig herbeigeholt worden zu sein, zwecks Verabreichung eines Abendmahls. Derweil begehrte der ihn begleitende Grenadier zu wissen: Wo man denn hier schnell Wein und Hostien herbekommen könne?
Die lutherischen Herren belehrten den reformierten Pfarrer Krafft unverzüglich, ein weiteres Abendmahl sei weder gewünscht noch angemessen. Der Pfarrer Krafft sah das schnell ein − er hatte ohnehin keine Lust auf die Extraarbeit − und ärgerte sich doppelt und dreifach, dass er so eilig bestellt worden war. Nun verhielt es sich aber so, dass er, als der derzeit ranghöchste Bockenheimer reformierte Geistliche, eigentlich am meisten von allen zuständig war für die Susann Brandin, das Luder. Allerdings hatte er sie seit ihrer Verhaftung und auch davor schon länger nicht gesehen (wiewohl diverse üble Gerüchte über eine Schwangerschaft an sein Ohr gedrungen waren im letzten Sommer − kein Wunder, dass sie sich nicht mehr in die Kirche traute, das Aas!). Zu dem Abendmahl, das ihr im Dezember in ihrem Kerker verabreicht worden war, hatte er wegen Unpässlichkeit seinen Kollegen schicken müssen, den alten Pfarrer Hilgenbach.
Jetzt war er aber selber da. Und da er nun schon einmal gekommen war, konnte er wohl kaum die Gelegenheit verstreichen lassen, diesem seinem auf so scheußliche Weise vom rechten Weg gewichenen reformierten Schäfchen kräftig die Leviten zu lesen.
Den Herren Willemer und Zeitmann rollten sich die Nägel auf, als sie vernahmen, wie der Kollege Krafft nun von einer Sekunde auf die nächste mit rhetorischem Pech, Schwefel und Höllengericht auf die zuvor kaum einer Begrüßung für wert befundene Todgeweihte eindrosch. Die hatte seit gestern nichts gegessen und wurde immer blasser.
Zeitmann sah sich das nicht sehr lange an.
Er tippte dem Krafft auf den Rücken. «Werter Herr Kollege – auf ein Wort?»
In der Stubenecke belehrte er den werten Kollegen im Flüsterton, dass er und der Pfarrer Willemer von ihren Sünden mit der Delinquentin wahrlich genügend gesprochen hätten, die erwünschte Wirkung an ihrer armen Seele auch eingetreten sei, und dass man sich aber eben gerade bemühe, ihr jetzt aus dem Evangelium auch den nötigen Trost zukommen zu lassen – ein Ziel, das durch neuerliche Strafpredigten, so gut und lobenswert diese grundsätzlich auch seien, ziemlich behindert werde.
Eitel war der Pfarrer Krafft nicht, und er war ganz froh, dass er jetzt Grund hatte, sich um die vermaledeite Person gar nicht mehr zu bemühen, sondern nach Haus zu gehen.
Die Frau des Richters Weines, in ihrer eigenen Stube aufs Fußbänkchen verbannt, musste sich nun angucken, wie der Pfarrer Willemer und der Pfarrer Zeitmann, unterstützt von diversen um sie herumstehenden Kandidaten, der vor Schreck ganz bleich und zittrig gewordenen Susann von rechts und von links zugleich
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