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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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Ganz, ganz langsam zieht der Holländer seine Hand mit dem Kuchen wieder zurück, sieht sie unverwandt an und öffnet selbst den Mund und beißt genau da in den Kuchen, wo sie abgebissen hat, und nimmt dabei den Zeigefinger zwischen die Lippen, der eben noch im Mund der Susann war. Die Susann schluckt. Er kaut. Und dann streckt er wieder die Hand mit dem Kuchen aus, und diesmal streicht er mit der Fingerrückseite ganz sanft über ihre heiße rechte Wange, einmal, zweimal. Dann schiebt er ihr wieder Kuchen in den Mund, der Zeigefinger kitzelt ihre Lippen und dann ihre Zungenspitze. Sie drückt die Zunge fest an den Finger und saugt. Gerade als die Susann denkt, sie hält es nicht mehr aus, irgendetwas muss platzen in ihr, schmeißt der Holländer den Rest Kuchen auf den Teller, schiebt den Tisch krachend und quietschend zur Seite, streckt die Arme nach ihr aus, zieht sie zu sich auf den Schoß und küsst ihr, als wäre er am Verhungern, den Kuchen wieder aus dem Mund.
    Und die Susann denkt, während sie ihn küsst und festhält, ganz klar denkt sie plötzlich: Das ist es also, wozu man auf der Welt ist. Das ist das Leben.
     
    Zur gleichen Zeit ist unten, in der Bierstube, das Kartenspiel beendet. Die Jüdin Hundchen humpelt mit ihrer großen Haube und dem Stock in der Hand fort zu einem Besuch bei reichen Freunden im Gasthof Zum englischen König . Der Bonum gähnt, kratzt sich im Bart und würde am liebsten auch verschwinden. Doch er hat ja der Susann versprochen, auf die Bierstube aufzupassen. Er hat ja nicht geahnt, wie lange sie wegbleiben würde. Was sie wohl treibt?
    «Wo ist denn Euer holländischer Freund?», fragt er in dem üblichen jüdischen Dialekt den Kaufmann, Jontef mit Namen, der sich ebenfalls zum Ausgehen anschickt.
    «Nu, auf seiner Stube wird er sein.»
    Soso, denkt der Bonum. Und: Unsinn! gleich danach, weil der Susann so etwas eigentlich nicht zuzutrauen ist. Die wird fleißig in der Waschküche stehen. Oder nein, sie hatte ja gesagt, oben hätte sie zu tun, also wird sie irgendwo in den Stuben putzen oder am Boden Wäsche aufhängen oder abnehmen oder beides. Nur dass sie so merkwürdig aufgeregt gewesen war, als sie gefragt hatte.− Ach wo.
    Aber der Holländer, der wär natürlich einer! Apropos, was für einer eigentlich genau?
    «Der handelt auch mit Schmuck, Euer Freund?»
    Der Jontef steht schon an der Tür. «Nu, wie man’s nimmt. Er verkauft hier in Frankfurt a bissel, dass er kriegt die Reise finanziert. Von Beruf ist er Goldschmied. Goldschmiedsgesell. Wird arbeiten in Petersburg am Hof. Mit Gottes Hilfe.»
    Aha. Das passt natürlich. Lange muss der Bonum sich übrigens nicht mehr langweilen und eitlen Gedanken nachhängen, da die Bierstube sich mit ein paar Gästen füllt und er in seinem Vertretungsdienst nun wirklich zu tun bekommt. Aber als es vier läutet und dann fünf, und schließlich sechs, und noch immer keine Spur von der Susann − nu, wundern tut er sich da schon.
     
    «Sßüsann», sagt der Jan, während er ihr Gesicht streichelt und sie ansieht und ansieht und ansieht ( so hat die Susann überhaupt noch niemand angesehen). «Sßüsann. Ich will dir etwas schenken.»
    Gerade noch träge, springt er quicklebendig aus dem Bett und sucht in seinem Reisesack herum. «Aaah!», jubelt er schließlich und holt, den strahlenden Blick auf sie gerichtet, erst eine, dann zwei, dann drei, dann vier Perlenschnüre hervor.
    Die Susann ist ein bisschen sprachlos, während er ihr im Bett die Ketten um den Hals legt, nicht nur wegen der Perlen, die im Kerzenlicht so schön glänzen, sondern auch, weil sie plötzlich nachdenken muss, ob dieses Geschenk wohl einen Anfang markiert oder etwa ein Ende. Aber lange muss sie nicht nachdenken, weil der Jan ihr nämlich den Hals derart mit Küssen bedeckt und halb auf sie rutscht und sie ihn schon wieder anschwellen fühlt, zum dritten Mal, dass von Ende ja offensichtlich die Rede nicht sein kann, es sei denn vom Ende ihrer Grübelei.
     
    So gegen halb sieben wacht die Christiane mit brummendem Schädel, leiser Übelkeit und mäßigen Leibschmerzen von einem langen, kranken Schlummer auf. Gott sei Dank, das Schlimmste hat sie hinter sich gebracht. Nur nicht in den Nachttopf gucken, dann wird ihr gleich wieder schlecht. Sie nimmt lieber den zweiten, leeren Nachttopf, den von der Susann. Dann stopft sie ihr Hemd zwischen die Beine, fühlt, ob ihre Haube halbwegs sitzt, und wankt in die Bierstube, blinzelnd gegen den Schein der hellen

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