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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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sie die Stiege hinuntereilt, klackern an ihrem Hals die Perlen gegeneinander. Sie greift hin. Um Gottes willen. Die Ketten. Dass die nur niemand sieht. Sie bleibt stehen und nestelt mit feuchten Fingern an den Verschlüssen. Dabei geht ihr erst so richtig auf, was sie sich heute geleistet hat. Stunden ist sie weggeblieben. Stunden! Hat einfach die Welt vergessen für Unzucht am helllichten Tage mit einem, der heute kommt und morgen geht. Wenn die Frau Bauerin das mitkriegt, dann fliegt sie. Hochkant. Und das war’s dann. Alles, alles hat sie aufs Spiel gesetzt für den J − nein. Nein. Nicht weinen. Nicht selbstmitleidig werden. Lieber sehen, was sich noch retten lässt. Wenn sie ihm schon egal ist. Verdammt. Gut, also, was will sie sagen, wo sie war? Wäsche aufhängen. Nein, Wäsche abhängen. Dann ist ihr nicht gut geworden, und sie ist oben sitzen geblieben.− Schwach, verdammt schwach. Und wenn nun sogar jemand am Boden war und nach ihr gesucht hat? Dann muss sie aus dem Stand was erfinden. Sie ist doch nicht dumm. Sie muss nur an ihre eigenen Lügen glauben.
    Mit bebendem Herzen läuft, nein, fliegt sie, immer drei Stufen auf einmal nehmend, ganz nach oben auf den Trockenboden, tastet im Dunkeln, aha, da hängt unberührt die Wäsche von gestern, und die vom Donnerstag, die ist nun endgültig trocken, und der Wäschekorb ist auch noch da. Sie nimmt mit fliegenden Fingern blind in Sekunden die Wäsche ab und rast, den schweren Korb im Arm, nach unten. (In der Schürzentasche klackern leise die Perlen.) Durch die Stube der Frau Bauerin. Die Tür ist offen, die Stube leer. Durch die Kinderschlafkammer in die Küche. Niemand da. Es stinkt aus den Nachttöpfen, das war die Christiane. Die Susann nutzt den Moment und versteckt die Perlen tief unten in ihrer Kleidertruhe. Erleichtert huscht sie dann samt dem vollen Korb in die Wohnstube zurück, wo das kleine Licht brennt, und beginnt, am Tisch die Wäsche zu falten.
    Aus der Bierstube hört man Stimmen. Nichts Besonderes. Die üblichen Sonntagsgäste.
    Die Susann wagt es und beginnt, wie die Unschuld in Person, laut bei der Arbeit zu pfeifen.
    Es dauert keine zwei Minuten, dann öffnet sich die Tür. Blass und böse erscheint das Gesicht der Christiane.
    «Wo − warst − du?», zischt sie, drohende Betonung auf jedem Wort.
    Die Susann bemüht sich sehr, sich in ein Gefühl gekränkter Unschuld zu versetzen. «Oben», sagt sie, «Wäsche abhängen, zum Beispiel.»
    «So lange? Mir geht’s kotzelend, und ich steh hier schon seit über einer halben Stunde allein in der Bierstub! Und wenn ich nicht aufgewacht wär, dann hättst wohl den Bonum die ganze Zeit allein hier drin gelassen, gelt! Wenn ich das der Frau Bauerin sagen tät, dass du den Bonum in der Bierstub allein gelassen hast!»
    «Irgendjemand muss ja die Arbeit tun. Du kannst ja nicht mal deinen eigenen Nachttopf ausschütten und kackst dazu noch meinen voll.»
    «Leck mich doch am Arsch», sagt die Christiane, zieht den Kopf aus der Wohnstube und knallt die Tür zu.
    Uff. Der Susann rast das Herz. Das hätte schlimmer ausgehen können. Zweimal atmet sie tief durch. Dann betritt sie gemessen die Bierstube. Gott sei Dank, der Bonum ist nicht mehr da. «Wenn’s dir so schlecht geht», sagt sie zur Christiane, «dann kann ich auch die Bierstub übernehmen, dann muss halt die Wäsche warten.»
    «Das fällt dir früh ein», keift die Christiane, blickt leidend und verschwindet.
    Inzwischen leidet längst auch die Susann. Indem sich nämlich bei ihr so allmählich die Folgen von zu viel Wein bemerkbar machen. Doch davon abgesehen fühlt sie sich leicht, so leicht wie jemand, der eben gerade mit dem Leben davongekommen ist.

3. DEZEMBER 1770
    DIE SUSANN KANN am nächsten Morgen kaum aufstehen vor Scham. Jesus, was schämt sie sich. Wie konnte sie nur. Das ist doch nicht sie, die im Suff mit dem erstbesten Fremden ins Bett geht. Sie war doch immer so vorsichtig. Ach, sie schämt sich so. Wie konnte sie nur so viel trinken. Wie konnte sie überhaupt zustimmen, sich mit einem Gast auf sein Zimmer zu setzen und zu trinken. Und was danach kam, daran mag sie gar nicht denken. Dreimal, dreimal hat sie mit ihm … Gott, was war denn nur in sie gefahren, sie muss von Sinnen gewesen sein. Vielleicht war der Wein nicht in Ordnung. Vielleicht war was im Wein, dass sie derart …
    Sie schämt sich so sehr. Am allermeisten vor sich selbst. Und am zweitmeisten ausgerechnet vor dem Holländer. Jan. Sie kann dem nie wieder

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