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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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unter die Augen treten. Und sie will ihm auch nie wieder unter die Augen treten. Nicht dran denken. O Jesus.
    «Du, Christiane», sagt sie, während sie die Jacke knöpft. «Mir ist heut auch nicht so gut. Ich hab heut keine Lust, zu aller anderen Arbeit auch noch den Gästen Essen aufs Zimmer zu servieren. Kannst du das übernehmen? Es ist ja nur der eine im Moment. Der Holländer mit dem klingelnden Gepäck, weißt du.»
    «Na, wenn’s denn sein muss», sagt die Christiane – selbst halbwegs genesen –, und man hört ihr die Freude an. Wenn nicht gerad Messe ist, gibt es nur wenige Gelegenheiten, Trinkgeld einzunehmen. Und ohne Trinkgeld ist man aufgeschmissen mit den lächerlichen drei Gulden Lohn im Vierteljahr von der Frau Bauerin. Bei den Preisen im Moment. Da nimmt man ein bisschen Mehrarbeit gern in Kauf.
    Der Susann hingegen wird nicht wirklich leichter. Eine Hürde für heute genommen, aber da bleiben noch andere genug, an denen sie straucheln kann. Der Bonum zum Beispiel. Der früher oder später im Einhorn auftauchen wird. Wenn der eine Bemerkung macht. Oder gar der Frau Bauerin was sagt.
    Wenigstens muss sie heut die Betten nicht …
    Jesus, das Bett! Wenn man nun dem Laken was ansieht! Diese nasse Stelle, die sie am Gesäß gespürt hat, als sie bei ihm lag … (nein, jetzt nicht daran denken, wie er sie im Arm gehalten hat oder wie sich sein Mund anfühlte). Blut immerhin wird keines drauf sein auf dem Laken. Weil es bei ihr mit dem Jungfernhäutchen wohl passé ist seit einem gewissen sehr unangenehmen Erlebnis, das sie mit zehn Jahren hatte, eins von der Sorte, an die man am besten gar nicht denkt. Und jetzt kommt ihr doch tatsächlich der Gedanke, dass dem Jan das aufgefallen sein muss, dass sie keine Jungfrau mehr ist, und sie schämt sich auch noch dafür. Dabei sollte ihr egal sein, was der Jan von ihr hält. Der ist sowieso ein Lump. Wichtiger ist das Laken. Nicht nur Blut macht Flecken. Und wie es das Pech will, übernimmt ausgerechnet heute die Christiane das Bettenmachen komplett, weil sie ja gestern wegen Krankheit ihre Betten auf die Susann abgewälzt hatte. Und wenn die Christiane verdächtige Flecken sieht, dann wird sie eins und eins zusammenzählen.
    Die Susann greift nach der Schaufel, schippt die Asche aus dem Kamin. Doch mit dem Kopf ist sie woanders. Ob sie einfach als Gefallen anbieten soll, dass die Christiane heut doch nicht ihre Betten übernehmen muss? Aber wer macht schon freiwillig Betten, wenn er gar nicht dran ist. Das kann nur wiederum verdächtig wirken. Zumal die Susann eben noch wahrheitsgemäß erklärt hat, ihr sei nicht wohl, damit sie gewissen Personen nicht das Essen aufs Zimmer bringen muss.
    Da kommt ihr der Zufall zur Hilfe. Während sie in der Bierstube den Tisch für das Frühstück der Frau Bauerin deckt, hört sie auf dem Hof Schritte. Vertraute Schritte. Fast gegen ihren Willen schaut sie auf und aus dem Fenster, das Herz bleibt ihr einen Augenblick stehen, er ist es tatsächlich und geht aufrecht und gelassen und im blauen Rock wie immer übern Hof Richtung Tor. So unnahbar wirkt er jetzt, nie wieder wird sie − nein, nicht daran denken. Wichtig ist: Er ist so früh schon aus! Jetzt muss sie nur fix sein. Sie wartet, bis sie sicher ist, dass er nicht noch einmal zurückkommt. Dann spurtet sie in den Hof und zur Hinterstiege, hoch in den ersten Stock zum Leinenschrank, nimmt ein frisches Laken, stürmt noch zwei Stockwerke nach oben und in sein Zimmer. Sein Zimmer. Lieber Gott, die Erinnerung. Sie beschließt, dass sie ihn hasst. Zitternd reißt sie das alte, verräterische Laken ab und legt das neue auf, sie knittert es fleißig dabei, das Bett soll bloß nicht schon gemacht aussehen, wenn die Christiane zum Bettenmachen kommt. Dann schnell wieder runter, ihr Herz rast, nur jetzt nicht mit dem befleckten Laken angetroffen werden, Achtung, nicht stolpern, hinaus auf den Hof und in die Waschküche damit, tief in den Bottich mit der Dreckwäsche.
    Außer Atem kommt sie zurück in die Bierstube und findet dort den Christoph Bauer vor. Der sitzt grau und gähnend am Tisch, die Haare in einem schiefen, filzigen Zopf, auf dem er wohl geschlafen hat, eine Hand an der Stirn.
    «Guten Morgen», sagt sie.
    Der Christoph grunzt leidend und rülpst. Da hat jemand am gestrigen ersten Advent noch mehr getrunken als sie. Und obwohl sie so unglücklich ist, muss sie schmunzeln.
     
    Das mit dem Bettlaken ist noch nicht überstanden. Die Weißwäsche fürs Einhorn

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