Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Öllampen.
Der Bonum trägt gerade einen Schoppen Bier durch den Raum, stellt ihn einem Gast vor die Nase. So was. Die Christiane ist noch ganz dösig im Kopf, sie setzt sich lieber mal.
«Wo ist denn die Susann?», fragt sie mit belegter Stimme den Bonum, als der zurück zum Fass kommt.
«Weiß nicht», antwortet er und kratzt sich mit der einen Hand im Bart, während er die andere an der Hose abwischt. «Sie hätt oben was zu tun, hat sie gesagt.− Ich müsst eigentlich weg. Könnt Ihr jetzt übernehmen?»
Die Christiane grunzt. Dann seufzt sie.
«Na, wenn’s denn sein muss.»
Der Bonum ist außerordentlich erleichtert, und nicht nur, weil er die Arbeit los ist. Er drückt seinen speckigen Hut fester auf den Kopf und verschwindet vorn heraus, um sich schnurstracks zu einem eigentlich erst später fälligen Klienten im Englischen König aufzumachen. Bloß schnell weg, bevor es einen bösen Krach gibt und man am Ende ihn noch verantwortlich für irgendetwas macht. Dass er die Susann nicht gesucht und keinen Alarm geschlagen hat zum Beispiel, und stattdessen so dumm war, stundenlang für sie die Bierstub zu betreuen, während sie sich absentiert.
Oder − sollte er etwa doch noch schnell nach der Susann gucken gehen? Rasch die Hinterstiege hoch und rufen? Einen Blick auf den Trockenboden werfen? Nicht, dass ihr am Ende gar was passiert ist. Und er hat der Christiane nicht mal gesagt, dass sie seit Stunden abgängig ist. Aber wahrscheinlich ist sie eben doch bei dem Holländer … oder Kuchen essen bei einer Schwester.
Ach was. Der Bonum schreitet wieder zügig aus. Was geht ihn das an? Er ist ja nicht mal ein Angestellter von der Frau Bauerin, lebt nur von den Trinkgeldern der jüdischen Gäste. Er ist genau genommen niemandem im Einhorn verpflichtet. Und was auch immer für ein Ärger sich da zusammenbraut wegen der Susann − er will sich raushalten und damit nichts zu tun haben.
Obwohl sie eigentlich gedacht hat, sie kann nicht mehr, weil sie schon ein bisschen wund ist, wird das dritte Mal das beste überhaupt. Das erste war schnell vorüber, beim zweiten war ihr die halbe Zeit schwindelig, jetzt endlich passiert ihr das , und als sie wieder halbwegs die Sinne zusammenhat, tun ihr zwar die Beine weh, aber sie fühlt sich wie die Königin von der Welt. Gerne hält sie geduldig die müden Beine noch ein bisschen oben. Bis der Jan erschöpft auf ihr liegt. Und ihr «Sßüsann» ins Ohr murmelt und die Hand sanft an ihr Gesicht legt.
Dann traut sie sich. Sie fragt einfach.
Ob er bald wieder zurück nach Holland müsse?
«Nach Holland?» Er hebt erstaunt den Kopf und hat schon wieder ein Lachen in der Stimme. «Nein. Nach Holland geh ich lange nicht. Ich will nach Russland. Ich will arbeiten in Sankt Petersburg.»
Sankt Petersburg. Die Susann weiß, dass sie jetzt gleich entweder sehr glücklich oder sehr unglücklich werden wird.
«Ich würd mit dir kommen», sagt sie leise. «Nach Petersburg.»
«Du?!» Er stützt sich auf den Ellenbogen und lacht. «Du willst mit mir kommen? Aber Sßüsann. Wie soll das gehen?»
Und bei seinen Einwänden, die er jetzt aufzuzählen beginnt – zu wenig Geld, unsichere Zukunft, praktische Schwierigkeiten –, da hört sie zum ersten Mal, seit sie ihn kennt, etwas wie Missbehagen und Unwillen in seiner Stimme.
Gut. Sie hat verstanden. Sie braucht keine Ausführung, wird sich nicht länger quälen. Sie schiebt seinen Arm zur Seite, richtet sich auf im Bett, setzt sich an den Rand und sucht nach ihren verstreuten Kleidern.
«Sßüsann? Was ist los?»
«Ich muss gehen.»
«Aber Sßüsann.− Sßüsann …»
Er streckt halb den Arm nach ihr aus und lässt ihn wieder sinken. Sie steigt schon in den Überrock. Sie sagt nichts mehr. Er sagt nichts mehr. Das ist das Schlimmste, dass er sie schweigend gehen lässt.
Hinter der Tür, im Gang, bleibt sie stehen und ist so dumm, so erbärmlich dumm, und wartet eine Minute, zwei, während sie sich zittrig den Mund zuhält, um das Schluchzen zu unterdrücken, wartet, ob er nicht hinter ihr herkommt, ob er nicht die Tür aufreißt und hinterhergestürzt kommt und die Arme um sie schlingt. Und hört nur irgendwann leise ein abfälliges Seufzen und dann ein Geräusch, als hätt er sich’s allein im Bett bequem gemacht. Lieber Herr Jesus. Nein, bitte, wegen dem will sie nicht weinen, nicht wegen dem, und sie schluckt und atmet und schluckt, bis der Krampf in ihrer Kehle nachlässt. Dann huscht sie los zum Treppenhaus.
Als
Weitere Kostenlose Bücher