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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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Last mit dem ungeratenen Mensch. Worauf der Holländer (der in seiner charakteristischen Gelassenheit all dies wohl und nicht besonders ernst zu nehmen wusste) lächelnd verkündete, die Sßüsann im Einhorn sei seinem Eindruck nach eine fleißige und nette Person, und ob es sich da wirklich um dieselbe −
    Dochdoch, unterbrach ihn die Frau von Stockum rasch, etwas unangenehm berührt, jaja, sie habe nämlich von der Königin gehört, grad neuerdings, dass die Susann sich im Einhorn ganz gut mache inzwischen, sie sei ja auch nun schon länger dort, na, sie muss einmal rechnen, ja also, drei Jahre beinahe, kommt es ihr vor. Ja doch, es bestehe wohl demnach die allergrößte Hoffnung, nicht wahr, dass die Susann aus ihren vielen Fehlern gelernt habe, und es freue die Frau von Stockum, jetzt auch von ihm, also aus neutralem Munde, zu erfahren, dass der neuerdings bessre Eindruck von der Frau Königin bezüglich ihrer Schwester nicht täusche. Sie gönne es der ganzen braven Familie von Herzen. Jaja, wirklich.− Übrigens: Wie er noch gleich heiße? Pardon, sie habe vorhin den Namen nicht ganz …?
    «Jan van Gelder.»
    Ob er denn, wenn er tatsächlich Schmuck anzubieten habe − jaja!, sie habe durchaus Interesse −, ob er also morgen oder übermorgen einmal bei ihr vorbei … so am frühen Nachmittag am besten? Das wäre schön.
    Längst hatte man die Kirche betreten, und der Herr Pfarrer Krafft drohte nun mit dem Gottesdienst zu beginnen. Die Frau von Stockum ließ sich, statt vorn auf ihrem schönen, teuren Kirchenstuhl, in einer der bedrückend schmalen Bankreihen auf der Weiberseite nieder. So konnte sie weiterhin ihrem Begleiter nahe sein, der gleich auf der anderen Seite des Mittelgangs bei den Männern Platz nahm. Beim neugierigen Umhersehen, wer wo sitze, stach ihr die im allerletzten Augenblick zur Kirchentüre hereinhetzende Königin ins Auge. Zu deren bassem Erstaunen winkte sie ihr ganz aufgeregt, rutschte dann mit ihrem Hinterteil über die Bankkante, stieß über den Gang hinweg den jungen Mann an und raunte weithin hörbar: «Da, das ist die Schwester! Von der Susann!»
     
    Die besagte Susann und der Holländer prusten beide los, als er das überzogene Winken und Raunen der Frau von Stockum, den verwirrten Blick der hereineilenden Königin und die tadelnde Miene des Pfarrers nachäfft. Sämtliche despektierlichen Bezüge auf ihre Person hat der Jan van Gelder (dessen Namen die Susann immer noch nicht kennt) ihr übrigens erspart. Und da kann es kaum überraschen, dass die Susann, nach Überwindung einer gewissen Befangenheit, sich augenblicklich zum Platzen glücklich fühlt. Zum Platzen. Was nicht nur am Wein liegen kann.
    Den Rückweg ist der Holländer, wie sie nun hört, doch tatsächlich mit der Ursel und deren Mann zusammen und zu Fuß gegangen. Und zwar, obwohl er mit der Frau von Stockum hätte fahren können! Er hat das Ehepaar König so dies und jenes gefragt, über Frankfurt, über die eigne Familie und über die Susann. Und während der Tambour König hauptsächlich geschwiegen hat, hat die Ursel, das hört die Susann aus dem Bericht gut heraus, die Gelegenheit genutzt, kräftig anzugeben: Wie gut sich die Familie Brand in Frankfurt stünde, die Ursel selbst natürlich mit ihren Beziehungen zu den besten Kreisen, und die Dorette mit ihrem Schreinermeister, und der Niklaus, der älteste Bruder, inzwischen Sergeant, desgleichen wie der Vetter Elias.
    Unter anderen Umständen wäre der Susann das wohl eine Spur peinlich gewesen (die Ursel! Als wären das Wunder was für Leistungen und als würd das alles jemanden interessieren!). Im Moment allerdings ist sie so beschäftigt mit dem Wein und ihrer inneren Hitze und der Nähe (Nähe!) des Jan van Gelder, dass sie gar nicht mehr so genau zuhören und erst recht nicht über das Gehörte nachdenken kann.
    Die Teller sind fast leer, wie auch der erste Weinkrug. Vom Wein allerdings hat die Susann eindeutig mehr gehabt als der Holländer. Ob sie Kuchen wolle?, fragt er. Er hat sich eben nach dem Fleischgang im beigestellten Schälchen die Hände gewaschen und hält das Stück Kuchen in der Hand.
    «Einen Bissen vielleicht.»
    Der Holländer hält ihr ein bisschen Kuchen über den kleinen Tisch hinweg direkt vor den Mund. Sie öffnet die Lippen, spürt den Kuchen an der Zunge – und daneben spürt sie seinen Finger. Sie beißt von dem Kuchen ab, vorsichtig, um nicht mit den Zähnen an den Finger zu kommen, der sich sanft an ihre Zunge drückt.

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