Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
sie wieder und hört die Susann etwas reden, wovon sie nur «furchtbar» und «Verdacht» versteht, worauf sie die Jüngere halb in den Arm nimmt und ihr zustimmt, dass es in der Tat furchtbar sein muss, ungerecht einem solchen Verdacht ausgesetzt zu sein − falls er denn ungerecht sei, und sie müsse jetzt allerdings wohl oder übel den Bauch auch noch examinieren. In dem Moment hört die Susann auf mit Weinen und wird ganz still.
Der Bauch, der ist leider so rund und so hart, dass der Dorette Hechtelin nicht wirklich wohl dabei sein kann. Kein Wunder, dass die Susann, während sie, die Dorette, drückt und tastet an ihr, irgendwas von einem Stein spricht. «Was?», fragt die Dorette zur Sicherheit. Es fühle sich wie ein Stein an in ihrem Bauch, spricht ihr die Susann ins Ohr, vielleicht geronnenes Blut? − Das scheine ihr auch so, verkündet die Dorette nach einem Moment. Draußen tröpfelt der Regen nur noch zart. Die Dorette nimmt die Hand von dem runden Bauch und erklärt, die Susann möge sich nicht sorgen, sie könne an ihr bei aller Sorgfalt keine Zeichen einer Schwangerschaft feststellen. Und das werde sie auch ihrer Dienstfrau sagen. Während die Susann, die kaum glaubt, was ihr geschieht, sich wieder anzieht, verschwindet die Dorette bereits nach unten.
Ihre jüngste Schwester folgt ihr nicht viel später, euphorisch fast. Denn die Dorette muss es doch wissen. Unten aber vor der Tür der Wohnstube der Frau Bauerin, als sie eben die Hand zur Klinke hebt und die Schwester drin sagen hört, man müsse dem Mädchen eine Medizin finden, um ihm wieder zu seiner Ordinaire zu verhelfen, dass es das verstopfte Blut im Leib endlich loswerde − da kommt es wieder, wie zum Trotz. Das Wälzen im Bauch. Das Drücken von etwas Fremdem in ihr drin.
Leider kann die Susann sich nicht betrügen und sich auch jetzt noch glauben machen, dass sie nicht schwanger ist. Dass das von dem Blut sein soll. Dass das kein Kind ist in ihr.
Sie wartet, bis es vorüber ist. Man wird es ihr sonst noch ansehen. Dann tritt sie ein.
«Susann», sagt die Frau Bauerin im selben Moment zu ihr, breit und zufrieden auf der Bank sitzend, «Susann, ich will also bei diesen Umständen die Leute schwätzen lassen. Seid beruhigt. Wenn Ihr nicht zu krank zum Arbeiten werdet, will ich Euch vier Wochen noch auf jeden Fall behalten. Und dann − nun, dann werden wir sehen, wie es bis dahin mit Euch geworden ist.»
Was soll die Susann tun. Sie bedankt sich.
ANFANG JUNI 1771
DR. JOHANN FRIEDRICH METZ, Arzt, Pietist und Schwabe, musste arbeiten, um sich zu ernähren. Im Gegensatz zu manchen seiner Collegae, zum Beispiel den werten Stadtphysici, die sich neben Gehalt und Naturalien durch ihr Amt und ihre Beziehungen zu dem Ratsklüngel noch manchen Vorteil zu verschaffen wussten. Im Gegensatz insbesondere zu seinem Pietistenfreund, dem Stadtphysicus Dr. Senckenberg, der von mehreren glücklich gleich hintereinander weg verstorbenen Ehefrauen ein dickes Erbe zu verprassen hatte. Der Senckenberg konnte es sich freilich leisten, ein gutes Amt beinahe hinzuschmeißen vor lauter moralischer Hybris über den Dr. Gladbach und die Ratscanaille. Oder zu behaupten, der beste Arzt sei die Natur, und ein bisschen frische Luft, Obst und Wasser kurierten schwere Seuchen. Für den Doktor Metz lagen die Dinge etwas anders.
Was durchaus seinen Patienten zugute kam, fand er, denn er war seit längerem schon der Überzeugung, dass der Glaube an die Macht des Arztes das Allerwichtigste nicht nur für den Geldbeutel des Medicus, sondern auch für die Gesundheit seiner Patienten sei. Indem nämlich der Glaube an den Arzt die Heilwirkung selbst schon in sich barg. (Nicht ohne Grund hatte sich der Herr Jesus zu Lebzeiten, oder wie man das bei ihm nannte, ebenfalls als Arzt betätigt.) Und da konnte es doch wohl allen Beteiligten nur nutzen, diesen insgesamt ja berechtigten Glauben durch ein bisschen Hokuspokus noch zu befestigen. (Das hatte der Herr Jesus schließlich auch so gehalten.) Dr. Metz erging sich daher vor seinen Patienten gern in mysteriösen, kabbalistisch-alchemistischen Andeutungen über Krankheiten und ihre Kuren, wobei er stets insinuierte, dass er, wegen der Beschränkungen des Frankfurter Medizinalregelwerkes und möglicher Anfeindungen der Kollegen, hier nicht alles offenbaren und anwenden könne, was ihm theoretisch möglich sei. Insbesondere machte er ein großes Geheimnis um ein gewisses Salz, ein Universalmittel, einen Stein der Weisen
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