Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
der Ordinaire mit einem Schlag das Blut versiegt.»
Die Hechtelin blickt fragend, für sie war das zu leise gesprochen, und die Bauerin brüllt in ihre Richtung und zum Besten der vollen Bierstube nebenan: «Sie hätt ihre Ordinaire verloren wegen einem Zorn. Doch darauf will ich mich nicht verlassen. Seht Euch doch an, wie es sich wölbt unter der Schürz. So dick kenn ich die Susann gar nicht.»
«Das muss das verstopfte Blut sein», behauptet die Beschuldigte, die Hand wie schützend zum Bauch führend, worauf die Königin drohend «Wenn du lügst!» ruft und die Hechtelin gleich einfällt: «Kind, wenn du schwanger bist, dann gesteh. Du wärst ja nicht die Erste und auch nicht die Letzte. Wir werden doch den Kindsvater schon dazu bringen, dass er dich heiraten tut, ein braves Mädchen wie dich!»
Eben das allerdings ist die Krux an der Sache für die Susann, die im Boden versinken möchte bei den Worten der Dorette. Die Krux ist nämlich, dass in ihrem Fall ein Kindsvater zum Heiraten gar nicht vorhanden ist. Und dass von «bravem Mädchen» bei ihr ganz bestimmt nicht mehr die Rede sein kann, seit sie, ausgerechnet sie, die sich für klug und fleißig und strebsam hält, mit einem Fremden geschlafen hat wie eine Straßenhure. Im Suff. Mit einem auf der Durchreise, von dem sie nicht einmal den Namen weiß. Es ist unsäglich.
Und da es eben nochmals dunkler wird, wie Nacht fast, überm Bauerischen Haus, da legt die Susann die Hand aufs Herz und sagt mit tiefer Inbrunst: Das Gewitter solle sie augenblicklich in den Boden schlagen, wenn es wahr wäre, dass sie von einem Kind wüsste, und sie habe weder mit einem Christen noch mit einem Juden zu tun gehabt.
Stille. Die Susann wartet geradezu auf einen Donnerschlag. Es kommt aber keiner. Es kommt keiner. Vielleicht ist das ein Zeichen. Vielleicht ist sie doch nicht schwanger.
«Wenn du wirklich unschuldig bist», sagt die Hechtelin, «dann wirst du nichts dagegen haben, wenn ich dir den Bauch untersuchen tu.»
Nein, sagt die Susann, die den neuen Schrecken fast nicht aufnehmen kann, die müde ist, so schrecklich müde, nein, dagegen hat sie nichts.
«Da geht Ihr mit der Susann nach oben, gelle, Frau Hechtelin», dekretiert die Hausherrin. «In eins von den leeren Fremdenzimmern. Da könnt Ihr Eure Schwester in Ruhe visitieren.»
Die Susann holt den Schlüssel. Sie steigt vor ihrer Schwester die Treppen hoch. Jetzt wird es herauskommen. Gleich ist es vorbei.
Oben führt sie die Dorette in ein freies Zimmer, schließt die Türe, nimmt, ohne ein Wort, das Halstuch ab und beginnt dann, die Jacke aufzuknöpfen, während die Dorette «Kind, Kind» murmelt und ihr von hinten die Schürze sowie den Rock löst. Am Ende streift die Susann das Hemd hoch, zieht es übern Kopf, steht nun splitternackt vor ihrer Schwester. Draußen prasselt mit einem Schlag der Regen los. Die Susann ist dankbar dafür. Wenigstens noch ein Geräusch hier im Raum außer ihrem und der Dorette Atmen.
Die Dorette beachtet den dicken Bauch erst gar nicht, greift ihr stattdessen nach den Brüsten, umfasst eine mit jeder Hand und beäugt sie genauestens. Der Susann fangen mit einem Mal die Tränen an zu laufen. Sie wisse nun auch nicht, murmelt konzentriert die Dorette vor dieser aufrechten, jungen Brust, die ganz anders geformt ist als ihre, und gewiss kleiner. So groß war der Busen von der Susann ja nie, den die Dorette übrigens, seit das Mädchen erwachsen ist, nie unbedeckt gesehen hat. Und die Farbe der Brustwarzen, was soll sie sagen – ihre waren immer so stark gedunkelt in der Schwangerschaft, dunkelbraun regelrecht, und die von der Susann, die sind doch eher rot, soweit man das erkennen kann bei dem düsteren Gewitterhimmel. Wenn auch die Susann natürlich immer schon bleichere Haut hatte als die anderen Brand-Kinder. Aber was hat das mit Brustwarzen zu tun? Und das Geäder überall, das sie, die Dorette, bei Schwangerschaft an den Brüsten zu haben pflegt, davon kann sie bei der Susann nichts erkennen. Ein paar bläuliche Venen direkt um den Vorhof herum vielleicht, der auch nicht ungewöhnlich groß scheint, und ob das bisschen zarte Blau für Schwangerschaft spricht, das bezweifelt sie. Und dann erklärt sie, während sie loslässt: An den Brüsten jedenfalls könne sie tatsächlich nicht das geringste Zeichen einer Schwangerschaft finden. Worauf es die Susann derart schüttelt, dass endlich sogar die taube Dorette bemerkt, dass das Mädchen am Weinen ist.
«Kind, Kind», murmelt
Weitere Kostenlose Bücher