Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
war und der Doktor Metz zu den wenigen Frankfurter Ärzten gehörte, die regelmäßig Hausbesuche machten. ( Er musste schließlich von seiner Arbeit leben!)
Als sie ihn Anfang Mai beim Spazierengehen gebeten hatte, im Einhorn vorbeizusehen, hatte sich das allerdings für den Doktor Metz weder dringlich noch lukrativ angehört. Und so kam es, dass er erst Wochen später Zeit dazu fand, und zwar, nachdem die Frau Bauerin nochmals hatte nachfragen lassen. Da war es inzwischen dringlich geworden. Nicht die Hämorrhoiden der Frau Bauerin natürlich, die ohnehin mehr in die Zuständigkeit des Barbiers fielen, sondern die Blasensteine von dem Gast, einem Juden namens Bermann. Jawohl, der Doktor Metz behandelte durchaus auch Juden − andere Kollegen mochten da kleinlich sein, aber der Dr. Metz, als jemand, der von seiner Arbeit leben musste, konnte sich solche Feinheiten nicht leisten. Jedenfalls dann, wenn die Juden zahlen konnten. Genau das allerdings war bei diesem zugereisten Exemplar, wie ihm die Frau Bauerin angedeutet hatte, recht zweifelhaft. Und zweifelhaft war ebenfalls, ob er, der Metz, bei dem Kranken irgendetwas würde ausrichten können. Urinsteine waren ein verbreitetes Leiden, und der Doktor Metz wusste ziemlich gut, dass weder sein Universalsalz noch sonst irgendein Geheimmittel dagegen etwas fruchteten.
Hatte man Blasensteine, so gab es zwei Möglichkeiten: Entweder man ließ schneiden − oder man ließ es sein. Und wenn man schneiden ließ, dann gab es nochmal zwei Möglichkeiten: Entweder, man starb daran − oder man erholte sich. Bei dem Juden Bermann ging es offenbar jeweils in die erste der beiden Richtungen, wie der Dr. Metz heut erfuhr. Der Mann habe sich fürs Schneiden entschieden. Seitdem stehe es sehr ernst um ihn. So weit die Nachricht, die der jüdische Handlanger der Witwe Bauerin brachte, verbunden mit der Bitte an den lieben Dr. Metz, so bald als möglich, und am besten jetzt gleich, ins Einhorn zu kommen. Und ob er denn vielleicht in diesem Fall einmal das gewisse berühmte Salz …
Nun hatte allerdings der Dr. Metz keineswegs vor, den Ruf seines Wundersalzes zu beschädigen, indem er es in einem hoffnungslosen Fall gab. Noch dazu einer Person, die er nicht einmal zu seinen festen Patienten rechnete. Er schrieb daher nur schnell ein Rezept für sydenhamische Ruhe-Essenz und entschuldigte sich, was den sofortigen Hausbesuch betraf, damit, dass heut für ihn noch andere dringende Visiten bei schwerst Erkrankten anlägen. Ohnehin hätte der Jude Bermann ihn vor dem Schneiden konsultieren müssen – er würde zweifellos abgeraten haben!
Am dritten Tag danach erst machte er sich pflichtbewusst doch noch auf den Weg zum Einhorn . Vergrätzen wollte er ja die Witwe Bauerin gewiss nicht. Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist, und Kleinvieh lieferte sie ihm seit Jahren verlässlich, indem sie ihn all ihren Logiergästen empfahl. So gefährlich schien es denn aber, wie sich herausstellte, gar nicht zu stehen um den geschnittenen Juden. (Der Dr. Metz fand diesen Ausdruck sehr witzig und hatte ihn schon gegenüber dem Boten mehrfach verwendet.) Da nämlich die Witwe Bauerin den Arzt eintreten sah, komplimentierte sie ihn nicht etwa gleich nach oben in das Siechenzimmer, sondern ließ ihn erst mal in der Bierstube sich niedersetzen, um ihm die ganze Leidensgeschichte des Patienten zum Besten aller Anwesenden haarklein zu erzählen. Der Bermann hatte, da außerhalb der Messen echte Steinschneider schlecht zu haben waren, für in der Judengasse erbetteltes Geld einen Frankfurter Chirurgus an seine Blasensteine gelassen (eine etwas hektische Person, wie der Doktor Metz wusste, mit nicht immer ruhiger Hand). Die Operation war in situ , nämlich auf einem Tisch der Bierstube erfolgt, wobei natürlich weder die Witwe Bauerin noch sonst ein Weibsbild zugesehen hatte, jedenfalls nicht von nahem. Aber informiert war die Frau Bauerin doch bestens, nämlich darüber, dass der Chirurg den angeblich einfacheren vorderen statt den hinteren Zugang gewählt hatte. Der Patient jedenfalls hatte trotz Alkohol kräftig gejammert und geschrien, während die Scheren ihm durch die Harnröhre nach oben geschoben wurden. Und dann hatte es fast eine halbe Stunde gedauert, weil der Stein sich bei allem Probieren mit der Sonde nicht erwischen, aber angeblich zumindest zertrümmern ließ, was jedoch dem Bermann nicht mehr viel nutzen konnte, da er am selben Abend noch ins Fieber fiel und bald nur noch
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