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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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beinahe, das er durch seine alchemistischen Studien und Experimente entdeckt habe, aber leider, leider wegen der vermaledeiten, den Ärzten das eigene Herstellen von Medikamenten verbietenden Frankfurter Medizinalordnung nicht anwenden dürfe. Wobei er jedoch durchblicken ließ, dass er in Momenten der größten Gefahr, zur Lebensrettung eines besonders werten und treuen Patienten, vielleicht doch einmal seine Zulassung aufs Spiel setzen und unter strenger Geheimhaltung eine Ausnahme riskieren würde.
    Manchmal machte er tatsächlich eine Ausnahme. So bei Goethes im späten Winter 68/69, als die Frau Rätin ihn die halbe Nacht lang derart bekniet hatte in ihrer Angst um den Wolfgang, die eigentlich nicht begründet, aber verständlich war nach vier verstorbenen Kindern. Wollte er, der Doktor Metz, sich die Frau Rätin gewogen halten, hatte er kaum anders mehr gekonnt, als durch menschenleere nächtliche Gassen und eisigen Wind nach Hause zu laufen und das Salz, nichts als ein simples Pottaschederivat, herbeizubringen. Erfreulicherweise verspürte der junge Mann, der sich etwas hysterisch auf dem Bett wand, sogleich nach Einnahme eine Besserung in den Eingeweiden. (Wahrscheinlich hatten ihn ohnehin bloß banale Übelkeit und Blähungen geplagt.) Der mindestens ebenso erleichterte Dr.   Metz konnte, nachdem er durch Lavieren vermieden hatte, dem interessierten jungen Goethe die Formel für die Herstellung des Salzes zu verraten, ziemlich sicher sein, dass seine Autorität bei den Gläubigen seit der Episode eher zu- denn abgenommen hatte.
    Alles letztlich dank der Medizinalordnung, auf die er sich immer dann berief, wenn es ihm passte, und die er ignorierte, wenn nicht. Wenn es zum Beispiel darum ging, seine selbstgebrauten Digestiva unter der Hand an die Patienten abzusetzen, dann stellte er das Verbot der eigenen Herstellung von Medikamenten regelmäßig hintan. (Es war ja wohl sein Recht, bei den Medikamenten etwas zu mogeln, als einer der wenigen Frankfurter Ärzte, die arbeiten mussten, um zu leben!) Zumal er in Wahrheit dabei natürlich nicht, wie er gerne behauptete, seine Frankfurter Praxiszulassung riskierte, sondern schlimmstenfalls ein Strafgeld von zehn Gulden. Laut Medizinalordnung.
    Dieses vielgescholtene Regelwerk war im Kern schon hundert Jahre alt und diente hauptsächlich dazu, all den ehrbaren, christlichen, männlichen Frankfurter Heilkundigen, die per Druck auf den Rat an seiner Abfassung beteiligt gewesen waren, gleichmäßig ein schönes Auskommen zu sichern. Die Apotheker und Drogisten waren es, die darauf gepocht hatten, dass die Ärzte nicht selbst ihre Arzneien anrühren durften. Zum Ausgleich verpflichteten die Apotheker ihrerseits sich, der unliebsamen jüdischen Konkurrenz der Herren christlichen Physici keine Arzneirezepte mehr zu verraten und Juden auch nicht lauschenderweise in den Apotheken herumlungern zu lassen − schlimm genug, dass immer noch so ein bis zwei jüdische Ärzte in Frankfurt legal ihr Unwesen treiben durften. Angeblich nur für die jüdischen Patienten, aber man wusste ja nie. Stadtphysicus durften Juden glücklicherweise heute nicht mehr werden.
    Die studierten Ärzte setzten außerdem durch, dass den Barbieren und Chirurgen alles außer Aderlassen und Wunden pflegen verboten war. Und die Chirurgen hielten sich an den wandernden Steinschneidern, Zahnbrechern und Okulisten schadlos, deren Arbeit nun erschwert oder untersagt wurde. Die Wichtigste aber, das war natürlich, dass die Herren Frankfurter Heilkundigen allesamt in seltener Eintracht den alten Weibsbildern strengstens verbieten ließen, weiterhin ihre Pfuscherei zu betreiben und ihnen in Scharen die Patienten zu stehlen.– Undenkbar, dass die Stadt früher sogenannte Ärztinnen sogar steuerfrei gestellt hatte!
    Die Weiberpraxis endlich auszurotten, die wie die Übermacht der nur auf den Profit schielenden bösen Judenärzte ein aus dem finsteren Mittelalter überkommenes Übel war, darin hatte sich die Medizinalordnung zum Glück sehr erfolgreich gezeigt. Im Jahr 1771 vertraute fast niemand mehr in Frankfurt den zweifelhaften Künsten einer der wenigen verbliebenen Weibspersonen, die sich unter der Hand für heilkundig ausgaben. Nicht, wenn man sich stattdessen einen examinierten und approbierten Arzt leisten konnte. Da wusste man wenigstens, woran man war!
    So auch die Frau Bauerin. Die nahm am liebsten den Doktor Metz, schon deshalb, weil sie, ob gesund, ob krank, nicht gut aus ihrem Gasthaus abkömmlich

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