Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
selbstverständlich, wenn eines ihrer Mädchen eine Schwellung des Leibs und eine Störung der monatlichen Reinigung habe, nicht nur berechtigt, sondern sogar amtlich verpflichtet sei, dies untersuchen zu lassen. Das habe sie ja durch den Doktor Metz auch getan, gelle, und übrigens müsse man es ihr ja wohl hoch anrechnen, dass sie trotz aller Gerüchte, die nicht von ihr in die Welt gesetzt worden seien, die Susann bislang im Dienst behalten habe. Das hätten doch andere Herrschaften zweifellos anders gehandhabt!
Die Hechtelin sieht etwas erschrocken aus, unter der Bräune ihrer Wangenknochen steigt Röte auf: Sie habe ja auch der Frau Bauerin keinen Vorwurf machen wollen. Die Frau Bauerin habe sich, und das wüssten sie und die Königin zu schätzen, hochanständig verhalten, und man sei sich ja auch mit ihr ganz einig, dass die Susann, wäre sie tatsächlich schwanger, natürlich nicht bleiben könne im Einhorn , da müsse sich die Frau Bauerin gar nicht entschuldigen für, dass sie so etwas nicht dulden wolle. Sie, die Hechtelin, habe nur eben jetzt mitteilen wollen, dass laut dem wirklich sehr verlässlichen Doktor Burggrave die Susann eben nicht schwanger sei und dass nun hiermit die Sache und alle Verdächtigungen auch ihr Ende finden müssten.
Die Frau Bauerin übergeht die Skepsis, die sie dennoch verspürt, indem sie, mit dem Kinn auf den nervös herumstehenden jungen Chirurgen deutend, die Hechtelin fragt: «Und warum habt Ihr uns den Herrn hier mitgebracht? Sie sind schon ganz ungeduldig, gelle, Herr Gesell, dass Sie endlich loslegen dürfen?»
«Ja, also −», beginnt der Chirurgus-Geselle, wird aber sogleich von der Hechtelin unterbrochen: «Der Doktor Burggrave hat der Susann einen Aderlass von acht Unzen verschrieben gegen die Blutstockung. Und zehnmal Pulver, ich hab das Rezept mitgebracht.− Den Aderlass will ich einmal zahlen, Susann, für die Pulver musst du dir selbst behelfen. Ich will aber hoffen, dass du sie auch richtig nimmst, nicht wie das letzte Mal.»
Ein kleines Weilchen später sitzt die Susann seitlich an einem Tisch, die Beine auf einem zweiten Stuhl hochgelegt, den linken Arm flach ausgestreckt am Rand der Tischplatte, darunter ein Eimer. Der angehende Herr Chirurg kniet schief und ungeschickt neben ihr und werkelt ihr mit einem schon tausendmal benutzten Schnäpper schmerzhaft am Arm herum. Die Susann sieht nicht hin. Beim dritten Versuch endlich bekommt er die Ader so weit auf, dass es läuft und leise in den Eimer tropft.
Die Bierstube summt längst wieder von Stimmengewirr, sogar lauter als vorher, und bedienen muss ganz ausnahmsweise, und während der Rest der Familie noch speist, das Lieschen Bauerin, geborene Körbel, das sehr schlecht gelaunt umherschaut und längst weiß: Einen Gastwirt hätte sie niemals heiraten dürfen. Jedenfalls nicht, solange dessen Mutter die Wirtin ist. Und im Nachhinein betrachtet wär es nicht mal nötig gewesen, da ihr ja leider die Frucht abgegangen ist kurz nach der Hochzeit. Ganz umsonst, diese vorschnelle, unkluge Entscheidung. Jetzt ist sie zwar schon wieder schwanger, speiübel ist ihr die ganze Zeit, was die Schwiegermutter aber nicht ernst nimmt, bloß, weil sie nicht bricht, dabei steht’s ihr die ganze Zeit wirklich bis direkt hoch an die Gurgel − diese quälende neue Schwangerschaft kann sie aber jedenfalls wohl kaum darüber hinwegtrösten, dass sie hier im Einhorn unkomfortabel lebt wie eine Dienstmagd und kein Plätzchen für sich hat in dem großen Haus. Vielmehr, da hat es ja die Magd noch besser, die im Übrigen klüger ist als sie und, statt den ersten Besten zu heiraten, frech mit einem dicken Bauch rumläuft und so tut, als wäre nichts. Wenn das Kind von der mal nicht auch vom Christoph ist. Obwohl sie ja jetzt angeblich tatsächlich nicht schwanger sein soll.
Das allerdings bezweifelt das Lieschen sehr. Und sie scheut sich auch nicht, verschiedenen neugierigen Frühschoppern ihren Zweifel zu verraten, jetzt beim Bedienen. Wenn man sie doch nach ihrer Meinung fragt!
Neben die sanft blutende Susann hat die Dorette Hechtelin sich einen Schemel geschoben und redet ihr leise zu.
«Den Taubert hab ich schon ausgezahlt, Susann, 1 Gulden 12 für den Aderlass. Das Medizinpulver, das du selbst kaufen musst, das kostet nur vierzehn oder sechzehn Kreuzer. Da siehst du, wie deine Schwestern sich mühen und opfern für dich. Und nun musst du aber auch sehen, dass du bald wieder gesund wirst, dass das Gerede endlich
Weitere Kostenlose Bücher