Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
sie eine Urinflasche hervor. «Frau Bauerin, kann ich Euch die Susann für eine Minute in die Küche entführen?»
Die nickt. «Gelle, Susann, da geht Ihr mal rasch mit Eurer Schwester und seht zu, dass Ihr die Flasche vollkriegt», dekretiert sie.
Die Susann, ob sie Verdacht schöpft oder nicht, fügt sich und geht der Hechtelin durch Wohn- und Schlafstube voraus in die Küche. Die Hechtelin greift zielstrebig unters Bett, doch der Nachttopf, der ist leer. «Dann musst du mir direkt hier in die Flasche machen, Susann.»
Die sagt keinen Ton, während die Hechtelin sich vor sie kniet, ihr den Rock hebt und die Flasche anlegt. Nur kommt erst nichts, obwohl die Susann muss, dringend sogar. Sie fühlt sich wie zugenäht. Es dauert Minuten, bis sich endlich etwas in ihr löst und ein schöner Strahl in das Gefäß läuft.
«So», sagt die Hechtelin und betrachtet das Ergebnis kritisch, weil ihr nämlich dieser Urin viel zu verdünnt und wässrig aussieht. Da weiß sie doch gleich, dass der Dr. Burggrave nichts mit anfangen können wird. Unzufrieden trägt sie die warme Flasche, gefolgt von der schweigsamen Susann, durch die Bauerischen Gemächer in die Bierstube, betrachtet den Inhalt dort nochmals in etwas besserem Licht, schüttelt den Kopf und sieht sich um, aber die Susann, die ist schon wieder am Servieren. Die Hechtelin fasst einen Entschluss, winkt der Frau Bauerin zum Abschied und geht.
Um fünf Uhr des folgenden Morgens, als die Susann der Familie Bauer in der noch geschlossenen Bierstube das Frühstück auf den Tisch stellte, klopfte es fest ans Fenster, und die eben gähnend hereinkommende Frau Bauerin bemerkte nach einem Blick nach draußen: «Eure Schwester», worauf die Susann lief und die Tür entriegelte. Die Hechtelin hatte aber keinen stinkenden Umschlag von der sicheren Frau dabei. Einen schönen guten Morgen wünsche sie, und man möchte ihr die frühe Störung verzeihen, aber sie bräuchte noch den Inhalt vom Nachttopf von der Susann. Das Gestrige habe der Frau nicht ausgereicht.
«Meine Kinder schlafen noch», protestiert die Bauerin halbherzig, womit sie weniger an ihren Sohn denkt, der sich vielleicht gerade ankleidet, als an ihre ständig übel gelaunte Schwiegertochter. Sie will zuerst die Susann alleine mit der Flasche in die Küche schicken, damit nicht gleich zwei Leute, und eine davon keine Hausgenossin, durch die Kinderschlafkammer trampeln, aber als die Hechtelin die Flasche nicht recht hergeben will und der Bauerin einen nervösen, vielsagenden Blick zuwirft, ahnt die, worum es hier geht. Die Susann könnte sich ja listigerweise aus dem vollen Nachttopf der Bauerin bedienen. So lässt sie die Hechtelin zur Aufsicht doch mit in die Küche gehen.
Bald kommen beide wieder zurück, die Hechtelin zufrieden mit einer dunkelgelb gefüllten Flasche in der Hand. Sie tauscht launig mit der Frau Bauerin ein paar Worte über das seit kurz vor Siebenschläfer prompt so kühl gewordene Wetter, und dann, im Gehen schon, wendet sie sich nochmals an die Susann: Ob sie eigentlich irgendwelche Beschwerden im Moment habe außer dem dicken Leib und der ausgebliebenen Blutung, damit sie das der sicheren Frau mitteilen könne.− Keine, sagt die Susann. Und dann, sie weiß nicht, was sie treibt, setzt sie nach: Aber die Beine und Füße seien ihr oft schwer und täten weh. Und es drücke ihr im Leib.
Als könnte ihr diese gefährliche Ehrlichkeit weiterhelfen.
«Was?», fragt die Dorette verwirrt. Die Bauerin hilft nach.
«Die Beine und der Leib tun ihr weh!», brüllt sie.
Draußen auf der Gasse wartete derweil jemand auf die Hechtelin. Die Gestalt ging, die Arme um den Körper, ein bisschen fröstelnd hin und her, eine Frau, groß, mit schmalem Gesicht und gegerbter Haut: Käthe, die älteste der vier Brand-Schwestern. Sie hatte keine Lust gehabt, mit ins Einhorn zu kommen. Die Frau Bauerin, die kannte sie nicht gut genug, um einfach so rein- und dann wieder rauszuplatzen, und zu ihrer jüngsten Schwester Susann hatte sie auch kein besonders enges Verhältnis. Nicht, dass sie das Mädchen nicht gemocht hätte. Doch, sie mochte sie schon ganz gern. Sie war nur fast eine Fremde: Als die Susann geboren wurde, da hatte die Käthe das Elternhaus gerade verlassen gehabt. So waren ihr die gleichaltrigen Vettern und Basen viel näher als die eigene jüngste Schwester. Na, und in der Schwangerschaftssache, da hatte man sie als Ledige und Kinderlose auch nicht zugezogen. Bis heute, als die Dorette
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