Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
müsst sie alleine sprechen und diese sie gegen ihre Gewohnheit mit in die private Stube genommen hat, fragt sich die Susann einen Augenblick, ob das Anliegen der Fremden vielleicht etwas mit ihr zu tun habe. Ihr kommt der Gedanke, die Frau könnte Hebamme sein.
Ist sie aber nicht. Und sie nimmt das Wort Schwangerschaft nicht in den Mund, als sie sich der Bauerin als die Base vom Weinhändler Huber und erfahrene Magd vorstellt und fragt, ob sie, die Bauerin, vielleicht eine Magd brauchen könne in nächster Zeit. Ganz sofort müsse es nicht sein, da sie bei ihrer Schwester bestens untergekommen sei und es dort noch ein gutes Weilchen aushalte. Aber falls bei der Wirtin im nächsten Monat etwas frei werde …
Ob sie kochen könne?, fragt die Bauerin. Ja sicher, sagt die Seyfriedin, sie habe ihrem seligen Dienstherrn immer gekocht. − Ob sie sich auch zutraue, während der Messe für Gäste zu kochen?, setzt die Bauerin nach, es stehe ja nun die Herbstmesse bevor, und sie würde ihr wohl dann ihre bisherige kompetente Magd ersetzen müssen, die auch die Köchin sei.
Sie habe bei ihrem verstorbenen Dienstherrn oft für große Gesellschaften das Essen gemacht, behauptet die Seyfriedin − obwohl «oft» ehrlich gesagt etwas übertrieben ist und ihr insgeheim nicht ganz wohl bei dem Gedanken, ein großes Gasthaus zu bekochen. Aber sie wird sich schon drein finden. Aller Anfang ist schwer.
Wenn dem so sei, beschließt die Bauerin, dann könne sie sie tatsächlich gut gebrauchen. Ob sie in zwei Wochen anfangen wolle? Da gehe nämlich das Dienstvierteljahr von ihrer bisherigen Magd zu Ende. Sie könnte dann also am ersten August ins Haus kommen. Ob ihr das recht sei?
Ja, das ist der Seyfriedin recht. Sagt sie jedenfalls. Etwas später wäre ihr lieber gewesen, aber das lässt sie sich nicht anmerken. Wahrscheinlich ist es sogar ganz gut, dass sie vor dem großen Messeansturm vierzehn Tage Zeit hat, mit dem Haus und ihren neuen Pflichten vertraut zu werden.
«Ich lass Euch den Mietpfennig dann zukommen über Euren Vetter», sagt die Bauerin, womit sie die Seyfriedin entlässt.
Ein paar Minuten später steckt die Susann den Kopf zur Stubentür herein. Sie sieht ein bisschen besorgt aus. «Frau Bauerin», flüstert sie, «wer war das eben eigentlich?»
«Die Base vom Weinhändler Huber.»
«Ach so.»
Die Susann verschwindet wieder. Die Bauerin reibt sich die Hand übers Gesicht, das sich wellt wie Kuchenteig, und seufzt.
SAMSTAG, 27. JULI 1771
«SUSANN? Kommt einmal her.− Im Hof steht Euer Schwager Hechtel, der soll mir auf dem Boden einen Verschlag bauen. Gell, seid so nett und bringt ihn hoch. Und erinnert ihn dran, ich würd ihn gern noch einmal sprechen, bevor er geht.»
Der Schreinermeister Hechtel steht hemdsärmelig, stoppelbärtig, den Hut im Nacken, mit Holz und Werkzeug an der Stiege zum Vorderhaus.
«Ei, was seh ich da. Du wirst nicht dünner, Susann.»
«Ihr auch nicht. Grüß Euch, Schwager. Soll ich was tragen helfen?»
Er deutet auf die Werkzeugkiste. Die Susann wuchtet sie hoch und nimmt, vorweggehend, die Stiege in Angriff. Er folgt mit dem Holz.
«Was bist du immer noch so frech. Man möcht dir das Gesicht polieren. Denk an deine armen Schwestern. Was du denen antust mit dem dicken Leib, die können keine Nacht schlafen. Was bin ich froh, dass ich schon eingetragen bin in die Handwerksroll und meinen Meistertitel hab. Weil mit einer fraglichen Weibsperson in der Familie, wo es heißt, sie hätt gehurt und hätt sich schwängern lassen, da wär ich gar nicht zugelassen worden als Schreinermeister hier in Frankfurt. Glaub bloß nicht, dass du einmal einen honetten Mann bekommst. Ein Handwerker nimmt dich nicht, das lass dir gesagt sein. Da müsste aber viel Gras über die Sache wachsen, bis die Gerüchte vergessen wären. Das erlebst du nicht mehr.»
Die Susann sagt dazu nichts. Was sollte sie auch sagen.
Während der Hechtel auf dem vorderen Boden werkelt, wischt sie im Hinterbau die Privets. Ihr ist so elend heute. Sie hat das Gefühl, der Bauch erdrückt sie. Nachdem sie fertig ist mit Wischen, bleibt sie auf einem geschlossenen Klosettdeckel einfach sitzen und hockt hier völlig reglos, bis sie irgendwann aufschreckt.
Es hämmert und sägt und hobelt nicht mehr von drüben. Der Hechtel ist wohl fertig. Eimer in der Hand, hetzt sie die hintere Treppe hinunter, stellt den Eimer im Hof ab und läuft die Vordertreppe hoch. Oben hört sie die Frau Bauerin und den Hechtel
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