Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
nicht im benötigten Maße innerhalb der Stadtmauern nachwuchs. Daher pflegte man im einen wie im anderen Fall auf Importware aus dem Umland zurückzugreifen.
Die Seyfriedin hoffte, auch jetzt nicht lange stellungslos zu bleiben. Es musste allerdings was ihrem Alter Angemessenes sein, nicht gerade Küchenmädchen in einem großen Haus, wo sie zig Leute über sich hätte. Dazu hatte sie mit Mitte vierzig nun wirklich keine Lust; von jemand anderem als der Herrschaft wollte sie sich nichts mehr sagen lassen.
Ein bisschen hatte sie gehofft, ihr Vetter würde sie nehmen, der Weinhändler Huber, der hier dank Einheirat Karriere gemacht hatte und eine richtig arrivierte Person geworden war. Der mochte sich aber offensichtlich nicht von seiner bewährten Kraft trennen.
Eben die, nämlich die Magd des Weinhändlers Huber, hört man gerade hereinkommen in die Wohnung der Schwester. Sie pflegt zweimal die Woche als milde Gabe des Vetters Wein vorbeizubringen. Diesmal scheint sie es nicht eilig zu haben. Statt dass sie gleich wieder die Treppen heruntertrippelt, hört man sie erst in der Küche sich unterhalten, und dann kommt sie ein bisschen aufgekratzt bis in die Stube.
«Jungfer Seyfriedin, ich wollt Euch was erzählen. Der Ludwig ist krank, deshalb musste ich gestern für ihn die Runde machen. Und da hab ich im Einhorn , Ihr wisst, das Gasthaus von der Predigergass ab beim Judenbrücklein, da hab ich die Magd gesehen, von der die halbe Stadt schwätzt, sie wär schwanger. Und Ihr könnt mir glauben, sie sieht wohl so aus. Da hab ich mir gedacht: Wenn die wirklich schwanger ist, dann wird die Wirtin vom Einhorn die nicht mehr lange halten. Dann wird sie bald auf der Suche nach jemand Neuem sein. Da hab ich mir also gedacht, das ist doch die Gelegenheit für die Jungfer Seyfriedin. Wollt ich Euch nur gesagt haben. Wenn ich Ihr wär, ich würd hingehen und so ganz unschuldig einmal die Wirtin nach Dienst fragen. Sie heißt Frau Bauerin.»
Die Margret Seyfriedin stopft nach diesem Ratschlag (für den sie sich bedankt) und dem Weggang der Huberischen Magd noch eine halbe Stunde weiter, bis sie merkt, dass sie weniger auf ihr Nähzeug als aus dem Fenster sieht. Das übrigens ganz genau auf das Hauszeichen des eng gegenüberstehenden Hauses geht, von dem die Kerbengasse den Namen hat: Ein Schild mit einem für die Rute ausgestreckten Jungenhintern, nackt, samt Schlitz. Aber nicht, dass die Jungfer Seyfriedin sich den Hintern anguckte. Nein, sie guckt vielmehr einfach so aus dem Fenster ins Leere, weil sie in Gedanken ganz woanders ist. Also, es lässt ihr doch keine Ruh mit der möglichen Stellung im Einhorn . Ein Gasthaus, da ist mit Trinkgeldern zu rechnen zu dem üblichen Lohn. Sie gibt zwar nicht viel auf die Spekulationen der Huberischen Magd. Außerdem weiß sie gar nicht, ob es ihr zusagen würde in so einem lärmenden Wirtschaftsbetrieb (sie hatte es so schön ruhig bei ihrem Witwer). Andererseits − probieren könnt sie’s mal. Und wenn, dann lieber jetzt gleich, ehe ihr die Gelegenheit von einer anderen weggeschnappt wird.
Deshalb rafft sie sich schließlich auf, zurrt die Kleider ein wenig zurecht und streicht die Haare ordentlich. Ihrer Schwester, die mit dem Mann in der dunklen Küche sitzt, ruft sie nur im Hinausgehen noch zu: «Emmi, ich bin für ein halbes Stündchen weg, ich muss doch einmal in dem Gasthaus nachfragen.»
Aus dem Kopf hätte sie nicht von einem Gasthaus Zum Einhorn gewusst. Glücklicherweise ist es nach der Beschreibung, die sie bekommen hat, leicht zu finden. Und als sie es vor sich hat, da weiß sie natürlich, dass ihr das Gebäude als solches vom Sehen bekannt ist.
Sie findet sich nur nicht gleich zurecht. Man muss erst durch das Tor auf den Hof, und dann sind da linker Hand an der Hausfront mehrere Türen zu sehen, ganz vorn auch eine offene Stiege in die Obergeschosse, weiter hinten noch eine Stiege und schließlich ein kleiner dunkler Torbogen, der wohl in einen Hinterhof führt.
Gleich die erste Tür aber steht, wie sie nun bemerkt, einen Spalt offen, es ist Schnitzwerk darüber, man hört auch Stimmen. Sie tritt also forsch hinein und findet sich in einer Schankstube.
Die Susann denkt: Die ist gekommen, ihren Mann nach Hause zu holen. Die Frau geht aber an keinen Tisch, sondern kommt geradewegs auf sie zu: Sie suche die Wirtin. «Ich bin’s nicht», lacht die Susann, «aber ich kann sie Euch holen.»
Erst nachdem die Fremde der verwunderten Frau Bauerin gesagt hat: Sie
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