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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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sie das verruchte Mensch ja gleich wieder zu sehen bekäme. Na, sie würde der nochmal kräftig die Leviten lesen, der Susann. Nicht, dass die meint, sie könne sich alles leisten ohne Folgen! Das verwöhnte, verdorbene Aas!
    Allerdings war die Wohnung bei Ankunft der Königin merkwürdig still.
     
    Käthes Bett ist aufgedeckt und leer. «Susann?», ruft die Ursel. Kein Laut. Auch in der Wohn- und Schlafstube keine Spur von dem frechen Mensch. Die Ursel betritt nochmals Käthes Kammer, hebt das Bettzeug auf, sieht unters Bett. Nichts. Sie lehnt sich aus dem Fenster zum Hof. Unten spielt ihr kleiner Sohn mit den Nachbarskindern Klettern an der kaputten alten Bank. Was er nicht soll. Sie hat nämlich hinterher den Ärger mit dem Geschrei, das er macht, wenn er sich wieder einen Splitter holt.
    Das ruft sie ihm jetzt von hier oben zu und hängt gleich die Frage dran, wo denn die Tante Susann sei. Ob er die gesehen habe.
    «Die Tante Susann? Die ist weggegangen», war seine Auskunft.

EINE STUNDE ZUVOR
    GEGEN ZEHN WAR ES, dass die Schwestern so eilig die Susann verlassen hatten, mit dem blutigen Hemd und dem, was sie darin eingewickelt hatten. «Du bleibst hier! Dass du mir bloß nicht aus dem Haus gehst!», brüllte die Königin noch von der Tür.
    Und dann war sie allein.
    Lieber Herr Jesus. Nie wieder wird sie denken, dass es schlimmer nicht mehr werden kann, weil es dann nur umso sicherer bald darauf noch schlimmer kommt. Jetzt ist es also heraus, das ganze Elend, und steht ihr wieder so dicht vorm inneren Auge, dass sie schreien und weglaufen möchte. Und die beiden Schwestern so plötzlich auf und davon, ohne ihr zu sagen wohin. Die werden sie anzeigen, das ist sonnenklar. Und die Nachgeburt zum Beweis vorführen. Jesus, sie zittert ja am ganzen Körper. In zehn, zwanzig Minuten werden Soldaten hier sein und sie abführen in irgendeinen Kerker.
    Und wenn sie jetzt flieht? So weit ist es gekommen, dass das wohl ihre allerletzte Chance ist. Aber die wenigstens, die hat sie doch noch. Sie muss nicht hier sitzen bleiben und wie ein verwundetes Tier auf die herannahenden Jäger warten.
    Sie steht also auf aus dem Bett, wacklig noch, und zieht sich mit klammen, bebenden Händen an. Den Beutel mit ihrem Restlohn, den hat sie glücklicherweise innen neben dem Nähsäckchen mit der Schere. Gott, die Schere, mit der sie gestern …
    Und als sie leise die Treppen hinunterhuscht, und übern Hof, und endlich draußen ist auf der Alten Gass, da weiß sie schon, wo sie hingehen wird. Nur fest durchdrücken die Knie, ignorieren, dass sie sich weich anfühlen, das Blut ignorieren, das wieder zu laufen beginnt, und bloß nicht dran denken, dass die Schwestern vielleicht doch nicht zur Konstablerwache, sondern gleich hier oben zum Friedberger Wachturm gegangen sind, an dem sie jetzt direkt vorüber muss und von dem aus sie sicher gut gesehen werden kann, wie sie auf der Innenseite die Stadtmauer entlanggeht. Hier im neustädtischen Norden verläuft die Mauer nämlich schnurgerade. Eine gute Viertelstunde lang wird man sie also erspähen können von dem Wachturm aus. Und vielleicht kann man sogar auf die Entfernung noch erkennen, dass sie es ist, denn sie hat mal was gehört, dass es Fernrohre gibt auf den Wachtürmen. Sie zwingt sich, sich nicht umzudrehen. Bloß nicht schuldbewusst wirken. Wie sie hetzt, ist schon verdächtig genug.
    Und dann kommt endlich, endlich die Biegung des Stadtwalls nach Südwesten. Sie atmet auf. Ab jetzt kann man sie vom Friedberger Turm aus bestimmt nicht mehr sehen. Allerdings überfällt sie gleich eine neue Angst: Obwohl sie weiß, dass die Schwestern hierher bestimmt nicht gegangen sind, dass ihr also von den Wachen hier keine Gefahr drohen sollte, klopft ihr Herz zum Zerspringen vorm schwer befestigten Bockenheimer Tor. Sie darf aber nicht stehenbleiben, bloß nicht zeigen, wie sie bebt. Also geht sie einfach. Durch den inneren Festungswall, dann über die Brücke vom ersten und vom zweiten Wassergraben, vorbei am Posten, und jetzt, jetzt hat sie es eigentlich schon geschafft. Jetzt ist sie raus aus der Stadt.
    Gleich hinterm Bockenheimer Tor biegt sie scharf links in die Mainzer Chaussee. Denn nach Bockenheim will sie natürlich nicht. Das ist erstens zu nahe und zu klein und zweitens gehört es noch in die Hoheit vom Frankfurter Territorium, und genau das will sie hinter sich lassen. Wenn sie ernsthaft fliehen will aus Frankfurt und anderswo neu anfangen, dann muss sie in eine große Stadt unter

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