Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
sie wolle bald aufstehen und wieder zu der Frau Bauerin ins Einhorn . Na bestens, dann wurde sie das Mensch tatsächlich heut schon wieder los. Aber was war das? Bevor sich die Susann wieder zur Bauerin begebe, begann nun die Hechtelin, habe sie den Auftrag, sich im Namen der Bauerin nach einer gewissen Sache bei ihr zu erkundigen. Die Bauerin hätte nämlich gerne gewusst, wovon eine lange Blutspur im Holzstall herrühre, die ihr fast aussähe wie von einer kreißenden Frau, und ob die Susann hierfür eine Erklärung habe.
Na bitte, sie hatte es ja immer gewusst, dachte die Königin, während die Susann sich wenig überzeugend verteidigte, indem sie behauptete, sie sei auf dem Weg zur Waschküche beim Aschetragen von ihrem Gewöhnlichen so heftig überfallen worden, dass das Blut plötzlich «in großen Spritzern von ihr weggeschossen» sei. Da habe sie sich in den Stall begeben, um den Hof nicht zu beschmutzen. Sie habe einfach nur sehr heftig ihre Reinigung, was man verstehen müsse, da nun das ganze verstockte Blut sich mit einem Mal löse bei ihr, und wenn die Frau Bauerin daran Zweifel habe, dann könne die Hechtelin der Wirtin das blutige Hemd von heute Nacht zeigen.
Worauf sich die Hechtelin tatsächlich mit dem an den üblichen Stellen blutbeschmierten langen Hemd ins Einhorn begab.
FREITAG, DER 2. AUGUST 1771, HALB ZEHN UHR MORGENS
SIE AHNTE NICHT, was sie dort erwartete. Nämlich eine blasse und ernste Bauerin, die sie mitten in ihren Ausführungen mit den Worten unterbrach: «Frau Hechtelin, ich war in der Waschküch vorhin, und da hab ich etwas gefunden in den Sägespänen zwischen den Fässern; ich will es euch zeigen.»
Die Hechtelin folgt der Bauerin bebend in die Waschküche, wo ihr hier und da Blutflecken auffallen und ihr schwangerschaftsgeplagter Magen gleich wieder rebellieren will. Aber um die Blutflecken, um die geht es der Bauerin nicht. Sie deutet auf eine dunkle, schlecht einzusehende Ecke. «Nun seht Euch an, was hier liegt!»
Die Hechtelin kommt vor und linst, mit dem Schlimmsten rechnend, in die dunkle Spalte zwischen den Fässern. Aber für das Schlimmste ist es viel zu klein und ungeformt, was da verklebt von Sägespänen liegt, von der Farbe ganz abgesehen. «Wenn das nicht eine Nachgeburt ist!», kommentiert die Bauerin, greift das glibberige, blaugraue, sägespanverdreckte Gewebe mit der Hand und hält es der Hechtelin vor die Nase.
Die riecht Blut und ist jetzt erst einmal damit beschäftigt, ihren Magen zu beruhigen. Du liebe Zeit. Haut hängt auch noch dran und etwas Nabelschnur. Natürlich ist das eine Nachgeburt, doch als sie sich wieder zu sprechen traut, da sagt sie, also nein, das bezweifle sie, dass das eine Nachgeburt sei, jedenfalls habe ihre damals soweit ihr erinnerlich ganz anders ausgesehen.
«Dann wollen wir doch einmal sehen, was die Susann sagt, was es ist. Nehmt es mit, wir wickeln es in das blutige Hemd, so, und dann zeigt ihr es der Susann. Ich wäre doch kurios zu wissen, was sie dazu zu sagen hat.»
Die Bauerin ist im Augenblick gerade sehr böse mit der Susann, nachdem sich ihre schlimmsten Befürchtungen nun zu bewahrheiten beginnen und das Mädchen also offenbar so rücksichtslos war, in ihrem, der Bauerin, Haus heimlich zu gebären und dann auch noch fahrlässig die Überreste herumliegen zu lassen, dass hinterher sie den Ärger damit hat. Fast traut sie sich nicht mehr, sich in ihrem eigenen Haus und Hof zu bewegen, weil sie auf Schritt und tritt fürchtet, auf eine Kinderleiche zu stoßen. Schauerlich!
Die Hechtelin, aschfahl, sagt nicht mehr allzu viel und zieht mit dem Hemd und der Nachgeburt darinnen ab.
FREITAG, 2. AUGUST 1771, KURZ VOR ZEHN
DER WEG bis ans nördliche Ende der Alten Gass war lang genug, dass in der Hechtelin ein starkes, berechtigtes Entsetzen heranwachsen konnte über ihre Schwester, die sie immer für ein liebes, gutes Mädchen gehalten hat und an deren Mär von der Blutstockung sie sich sehr bemüht hatte zu glauben, wenn sie auch bis zum Schluss nie ganz überzeugt gewesen war, aber nun zu wissen … das fühlte sich völlig anders an als ein bloßer Verdacht. Weshalb die Hechtelin, inzwischen beinahe außer sich und starren Blickes, bei ihrer Ankunft in der Wohnung der Königin an dieser vorbeirauscht, als wäre sie Luft, geradewegs die kleine Schlafkammer anpeilt, deren Tür aufreißt und der erschrocken im Bett sitzenden Susann zuschreit: «Du infames Mensch, wo hast du denn dein Kind! Sieh dir an, was das hier
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