Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
sie aufgeweckt, ich bin fast vergangen vor Scham. Und dann sagt sie uns: Sie hätt ihre, verzeihen Sie den Ausdruck, sie hätt ihre Ordinaire wieder bekommen und wollt bei uns schlafen die Nacht. Wirklich, ich hab gedacht, mich trifft der Schlag.»
«Nein, das ist aber auch! Also! Jaja, bei den Umständen, das ist ja! Tu comprends ce qu’elle dit, chérie? C’est l’horreur, n’est ce pas!»
Das Fräulein Lisette brauchte diesen Wink der Frau Maman gar nicht, um mitzubekommen, worum es hier in Wahrheit ging. Während das Leinen mit fixer Königscher Hand locker gereiht und dann an dem wohlgeformten Körper der Lisette mit ein paar Stecknadeln in perfekten Sitz gebracht wurde, bohrte sie mindestens so neugierig wie ihre Mutter nach. Dabei brachte man immerhin in Erfahrung, dass die Susann, Unmengen von Blut sowie ruinierte schwesterliche Nerven hinterlassend, tatsächlich die Nachtstunden bei Königs verbracht hatte, am Morgen prompt vor die Tür gesetzt worden war und nun schon wieder im Gasthaus Zum Einhorn ihrer Arbeit nachgehe, als wäre nichts geschehen. Die Königin müsse sich doch sehr wundern über die Brotherrin von der Susann, diese Bauerin vom Einhorn , dass sie das Mensch überhaupt noch beschäftige nach allem!
«Jaja», murmelte die Frau von Stockum, als ihr das Thema vorläufig abgehandelt schien. «Jaja, was es für Menschen gibt. Man möcht es nicht glauben. Kennt Sie nicht auch den Rat Goethe? Merkwürdig genug, der Mann, dass er meint, bloß weil er einen gekauften kaiserlichen Titel hat, muss er nicht arbeiten. Also wirklich. Und dann sagt mir Lisette gestern − nicht wahr, Chérie −, der Mann hält seine erwachsene Tochter quasi im Haus gefangen. Seitenweise Unsinn muss sie ihm in Schönschrift kopieren den ganzen Tag wie eine Galeerensklavin. Jaja. Nicht wahr, Chérie, sie hat sich jetzt bitterlich beschwert bei dir.»
«Ei, Fräulein von Stockum», warf die Königin ein, «ich hab Sie glaub ich unter der Woch spazieren gehen sehen mit dem Fräulein Goethin. Bei den Bleichwiesen.»
«Ach ja», nickte das Fräulein Lisette, «das ist bestimmt am Mittwoch gewesen. Da haben wir sie quasi entführt aus dem Goetheschen Garten. Wir gehen alle ein Bier trinken, die Cornelie muss mit, haben wir dem Alten gesagt, und dann hat er doch wirklich ein paar Kreuzer rausgerückt, dass sie mitkommen und sich auch eins kaufen kann. Die kriegt bloß vier Gulden und ein paar Gequetschte Taschengeld im Monat, die Ärmste. Sie freut sich wie verrückt, dass ihr Bruder jetzt vom Studium zurückkommt. Der kann sie dann chaperonieren. Dann kommt sie auch wieder mehr raus.»
«Also Chérie, wenn du mich fragst, der alte Goethe ist geisteskrank. Lässt sie dreißig Seiten am Tag abschreiben ohne Sinn und Zweck. Verrückt, schlicht und einfach.»
«Maman, Sie übertreiben. Soo schlimm ist er nun auch −»
«Dochdoch. Sieh mich nicht so an, ich weiß, wovon ich spreche. Die haben doch den verrückten Verwandten im Haus, ich weiß gar nicht, ob du’s weißt. Jaja. Von dem der Rat Vormund ist, da hält er ihn in der eignen Wohnung, das kommt billiger. Wenn du mich fragst, es liegt bei den Goethes im Blut mit dem Wahnsinn. Dochdoch. Wenn da nicht so mancher sich überlegt, ob er in die Familie einheiraten soll … Hört man denn da eigentlich was, dass die Cornelie wen in Aussicht hätte?»
«Im Moment wohl eher nicht.»
«Soso. Sie ist ja auch leider alles andere als hübsch, das Fräulein Goethin. Diese schlechte, picklige, narbige Haut. Hat der Bruder auch.»
«Der ist aber trotzdem nicht hässlich. Sie doch eigentlich auch nicht. Ich weiß gar nicht, was Sie haben, Maman.»
«Ihre Frau Mutter vergleicht eben alle jungen Damen mit Ihnen, Fräulein von Stockum. Und neben Ihrer Schönheit kann keine bestehen.»
Womit die Königin die rechte Seite des Nachthemds fertig genäht hatte und den Faden abschnitt.
FREITAG, 2. AUGUST, NEUN UHR ABENDS
DIE SUSANN hatte das Mainzer Marktschiff doch noch erreicht.
Zitternd vor Erschöpfung und Aufregung hatte sie dem Besitzer eines Nachens die Hälfte ihrer mageren Barschaft versprochen, wenn er es schaffe, sie dem Schiff hinterherzurudern. Der Fischer legte sich ins Zeug. Schließlich hatten ein paar Männer, die von Bord des Marktschiffs schon die ganze Zeit gegafft hatten, sie mit viel Juchhe hochgezogen aus der Nussschale. Und dann hatte sie dem Marktschiffer natürlich weitere drei Batzen als Fahrtgeld zahlen müssen. Mit anderen Worten, sie hatte danach
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