Gretchen
zusammen auf der Highschool«, sagte er. »Fintan war genauso kaputt wie ich.« Er bewegte die freie Hand zum Oberarm und rieb geistesabwesend an den dreieckigen Narben, als wären sie die Quelle eines alten Juckreizes. In der anderen Hand hielt er immer noch das Skalpell, das Handgelenk ruhte auf seinem Knie. »Er wollte seine Milz raushaben«, sagte Jeremy. »Er sprach von nichts anderem. Niemand nahm ihn ernst. Außer mir. Ich habe ein paar Bücher gelesen. Und im Internet recherchiert. Ich habe Anweisungen ausgedruckt.«
Archie dachte an die Ziegenmilz, die sie in der Parkplatztoilette gefunden hatten. »Ihr habt mit Ziegen geübt.«
»Ihre Milz hat in etwa dieselbe Größe«, sagte Jeremy. »Das habe ich ebenfalls im Internet gelesen.«
»Wie ist es den Ziegen ergangen?«, fragte Archie.
»Sie sind alle gestorben«, sagte Jeremy. Er beugte sich vor, so weit, dass Archie seinen Atem auf dem Gesicht spüren konnte, und er brachte seinen Mund dicht an Archies Ohr. »Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, sie zu sein«, sagte er. »Gretchen Lowell zu sein.« Seine Lippen strichen über Archies Ohr. »Und es hat mir gefallen. Es hat mir gefallen, ihn aufzuschneiden. In seinen Körper zu greifen. Ich mochte den Geruch.« Jeremy hielt inne. »Es hat mich an Isabel erinnert.«
Archie strengte sich an, nicht zu reagieren. Jeremy stellte ihn auf die Probe.
Jeremy lehnte sich zurück und sah Archie lange an. »Du kannst gehen«, sagte er.
Archie nickte. »Ich weiß.«
»Aber du bist noch hier.«
»Weil ich an dir interessiert bin, Jeremy.«
Jeremy blickte auf das Skalpell hinab. »Du warst nett zu mir, als ich jünger war«, sagte er. »Meinen Vater und meinen Bruder habe ich nur daran erinnert, was mit Isabel passiert ist – ich habe es in ihren Gesichtern gesehen, wenn sie mich anschauten.«
Jeremys Oberlippe begann zu zucken, und Archie konnte das Kind, das er vor langer Zeit kennengelernt hatte, in dem jungen Mann sehen, der vor ihm saß. Verloren, beschädigt, wütend. Jeremy kniff die Augen zusammen. »Ich habe mir gewünscht, dass du mich wegholst«, sagte er. Seine Mundwinkel gingen nach unten, und seine Lippen zitterten, während er gegen Tränen kämpfte. »Du weißt, was sie treiben.« Er hob die Stimme. »Sie sind Kriminelle.« Seine Miene war so voller Schmerz, dass es Archie das Herz brach. »Warum hast du mich nicht geholt?«
Archie hatte nie daran gedacht. Er war so darauf konzentriert gewesen, den Beauty Killer zu fangen, den Mord an Isabel aufzuklären und Jeremy vor der Presse zu schützen, dass er nie daran gedacht hatte, ihn vor seinem Vater zu schützen. »Es tut mir leid«, sagte Archie. Es war wirklich alles, was er sagen konnte.
Jeremy begann zu weinen. Er weinte wie ein Kind, schaukelte mit laufender Nase vor und zurück, das Gesicht rosa und hässlich. Gretchen hatte Archie versaut, aber Jeremy Reynolds hatte sie zerstört.
Jeremy schluchzte tief auf, saß einen Augenblick lang vollkommen still und hob dann ruhig das Skalpell, um es unter seiner linken Brustwarze in die Brust zu drücken.
»Tu es nicht«, sagte Archie. »Bitte.« Er beobachtete, wie Jeremy die Klinge über die Herznarbe zog, die sich dort befand, um sie der Narbe auf Archies eigener Brust ähnlicher zu machen. Aber Jeremy drückte zu fest, und die Haut platzte auf und teilte sich, Blut sickerte aus dem massiven Schnitt.
Archie packte Jeremys Handgelenk. »Das ist zu tief, Jeremy«, sagte er. Der Junge zitterte, sein Gesicht war fiebrig, und das Skalpell glitt immer noch durch Haut und Muskeln. Archie musste das Skalpell aus Jeremys Fingern bekommen. »Was hältst du davon, wenn ich mich so schneide, dass ich wie du aussehe?«, sagte er.
Jeremy erstarrte und blickte auf. Es war das erste Mal, dass Archie etwas wie Klarheit und Festigkeit in seinem Blick sah. Es war noch nicht zu spät.
Archie streckte die Hand aus, Handfläche nach oben. »Gib es mir«, sagte er.
Jeremy zog das Skalpell aus seinem Fleisch und sah es blinzelnd an. Dann wischte er die blutige Klinge am Rand des Handtuchs ab, auf dem er saß, und gab Archie das Skalpell.
Und wartete.
»Okay«, sagte Archie.
Jeremy war nahe. Archie hatte das Gefühl, sein Vertrauen gewonnen zu haben. Seinen Test bestanden zu haben. Jetzt konnte er auch das tun. Er hatte zehn Tage Folter in den Händen von Gretchen Lowell überlebt. Was waren da ein paar Narben mehr?
Er blickte auf Jeremys Arme und Oberschenkel, auf die dreieckigen Narben, die Narben, die
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